Aufsatz in Zeitschrift

Haushaltspolitik im Krisenmodus – Reform der Schuldenbremse notwendig?

Clemens Fuest, Niklas Potrafke, Eckhard Janeba, Silke Übelmesser, Tobias Hentze, Björn Kauder, Désirée Christofzik, Rüdiger Bachmann, Veronika Grimm, Peter Bofinger, Lars Feld, Christian Keuschnigg
ifo Institut, München, 2024

ifo Schnelldienst, 2024, 77, Nr. 02, 03-37

Clemens Fuest und Niklas Potrafke, beide ifo Institut und LMU München, diskutieren, ob die deutsche Schuldenbremse einer ökonomisch sinnvollen Staatsverschuldung im Weg stehe. Forschungsergebnisse legten nahe: Wenn die Politik Haushaltsdefizite, Verschuldungsquoten sowie Risikoprämien auf Staatsanleihen begrenzen und das Wirtschaftswachstum stärken möchte, dann solle sie an einer wirksamen Verschuldungsregel festhalten. Das Hauptproblem einer Reform der Schuldenbremse in Richtung einer stärkeren Berücksichtigung der Struktur der öffentlichen Ausgaben bestünde darin, dass der damit verbundene politische Prozess mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Aufweichung der Verschuldungsgrenzen führen würde. Dass dann mehr Mittel in produktive öffentliche Investitionen flössen, sei alles andere als garantiert.

Für Eckhard Janeba, Universität Mannheim und Wissenschaftlicher Beirat beim BMWK, ist der gegenwärtige Zustand der Schuldenbremse unbefriedigend. Er stellt den jüngsten Reformvorschlag des Wissenschaftlichen Beirats vor, der eine Variation der früheren „Goldenen Regel“ ist. Die „Goldene Regel Plus“ stelle auf die Nettoinvestitionen ab und löse so ein Problem der früheren Regel. Ein weiteres Element wäre ein Kontrollgremium, das die Klassifizierung einer Ausgabe der Regierung als Investitionsausgabe bestätigen müsse.

Silke Übelmesser, Universität Jena, erläutert, dass die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form nicht Zukunftsinvestitionen gegenüber Gegenwartskonsum benachteilige. Es sei vielmehr eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Die zurzeit diskutierten Reformvorschläge zielten darauf ab, die Investitionsanreize des Staates durch zusätzlichen finanziellen Spielraum für Investitionen zu erhöhen.  Allerdings bedeute dies zusätzliche Belastungen für zukünftige Generationen, die sich bei gedämpften Wachstumsaussichten bereits hohen impliziten Schulden gegenübersähen. Beides zusammen, eine zukunftsorientierte Wirtschaft und solide Finanzen, seien daher wichtig, um auch in Zukunft Handlungsspielräume zu haben.

Tobias Hentze und Björn Kauder, beide IW Köln, sehen in Fiskalregeln ein wichtiges Instrument, um einen übermäßigen Gegenwartskonsum bei den öffentlichen Ausgaben zu verhindern. Der Politik falle es jedoch offensichtlich schwer, mit der geltenden Budgetrestriktion die anstehenden Herausforderungen anzugehen. Statt wie in der Vergangenheit die Schuldenbremse zu umgehen, sollten zielführende Veränderungen der Schuldenregeln offen diskutiert werden.

Bei dem Reformvorschlag des Wissenschaftlichen Beirats beim BMWK bestünden aus Sicht von Désirée I. Christofzik, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, erhebliche Umsetzungsprobleme. Das größere Problem stelle die Berechnung der Nettoinvestitionen dar, auf die eine Investitionsregel aber nicht verzichten solle. So lägen die Abschreibungen in der notwendigen finanzstatistischen Abgrenzung nicht vor. Die bereits früher vorgeschlagenen in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen geschätzten Abschreibungen zu verwenden, sei dafür ungeeignet.

Die Schuldenbremse weise in ihrer jetzigen Form erhebliche Konstruktionsfehler auf, erläutert Rüdiger Bachmann, University of Notre Dame. Sie ignoriere die relative Knappheit von Staatsanleihen am Kapitalmarkt, sie erschwere „Fiskalische Forward Guidance“, sie wirke nach Krisen zu abrupt und sie gefährde den Erhalt des staatlichen Nettokapitalstocks. Eine Reform, die diese Konstruktionsfehler behebe, sei dringend erforderlich.

Veronika Grimm, Universität Erlangen-Nürnberg und Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, stellt dessen jüngsten Vorschlag zur Reform der Schuldenbremse vor. So könne bei niedrigen Verschuldungsquoten eine höhere strukturelle Verschuldung erlaubt werden. Weiteres Element sei die Einführung einer Übergangsregel für die Rückkehr zur Regelgrenze. Abschließend könne die Methodik zur Berechnung der Konjunkturkomponente verbessert werden. Es gelte nun, eine Anpassung der
Schuldenbremse mit wirksamen Strukturreformen zu verbinden.

Peter Bofinger, Universität Würzburg, plädiert für eine dynamische Schuldenbremse. Mit dieser könne den Bedenken einer ausufernden Verschuldung Rechnung getragen werden, während eine „Goldenen Regel Plus“ garantiere, dass der finanzielle Spielraum für Investitionen verwendet würde. Dazu käme eine Ex-ante-Spezifizierung der geplanten Ausgaben, begleitet von Diskussionen in Parlament und Öffentlichkeit. Die Rolle eines Expertengremium sieht er kritisch.

Lars P. Feld, Universität Freiburg und Eucken Institut, verweist darauf, dass die behaupteten Dysfunktionalitäten bisher nicht belegt werden könnten: Weder habe die Schuldenbremse die Investitionstätigkeit des Staates eingeschränkt, noch sei die Verschuldung auf ein Niveau gesunken, das Staatsanleihen zu knapp werden ließe. Es zeige sich vielmehr, dass die Schuldenbremse vor allem Vorhaben für höhere und massive Subventionen zum Umbau der Wirtschaft beschränke.

Christian Keuschnigg, Universität St. Gallen, lenkt den Blick auf die Schweiz. Dort sorge die Schuldenbremse für grundsolide Staatsfinanzen. Indem sie konjunkturelle Defizite und Überschüsse erlaube und Ausnahmen in wirtschaftlichen Notsituationen vorsähe, unterstütze sie die Stabilisierung der Wirtschaft. Möglicherweise sei sie sogar zu streng. Sie habe einen Trend zu einer fallenden Staatsschuldenquote eingebaut, anstatt diese um einen niedrigen, aber konstanten Wert zu stabilisieren.

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