Stellungnahme -

ifo Standpunkt 249: Staatlich verordnete Vier-Tage-Woche? Nicht mehr zeitgemäß!

Debatten über die Zahl der Arbeitstage pro Woche sind in Deutschland nichts Ungewöhnliches. In den 1950er Jahren war die Sechs-Tage-Woche üblich, bis die Gewerkschaften mit dem Slogan „Am Samstag gehört Vati mir“ die Verkürzung der Arbeitszeiten durchsetzten. Nachdem viele Jahrzehnte die Fünf-Tage-Woche der Normalfall war, wird in Deutschland und anderen Ländern nun intensiv über die Einführung einer Vier-Tage-Woche diskutiert.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Die Diskussion über eine flächendeckende Vier-Tage-Woche ist insofern erstaunlich, als der Arbeitsmarkt sich gravierend verändert hat. Arbeitsverhältnisse sind viel flexibler geworden, Teilzeitarbeit und Homeoffice boomen, und die meisten Arbeitgeber bieten eine Vielzahl von Arbeitszeitmodellen an. Fakt ist: Wer seine Wochenarbeitszeit auf vier Tage reduzieren möchte, und den damit verbundenen Einkommensverlust akzeptiert, kann das schon heute tun, wenn der Arbeitgeber einverstanden ist.

Kürzere Arbeitszeit = mehr Produktivität?

Viele Befürworter einer Vier-Tage-Woche pochen allerdings auf einen vollen Lohnausgleich, und hier wird es ökonomisch heikel: Die Arbeitszeit bei unverändertem Monatslohn um ein Fünftel zu kürzen, würde einer Erhöhung des Stundenlohns um 25% entsprechen. Für die Unternehmen wäre das nur dann finanzierbar, wenn die Produktivität der Beschäftigten im gleichen Umfang steigen würde – sie also an vier Tagen das leisten, wofür sie heute fünf Tage brauchen. 

Kann das funktionieren? Studien zeigen, dass die Leistungsfähigkeit an Tagen, an denen man länger als acht Stunden arbeitet, in der Regel deutlich sinkt. Wer dauerhaft extrem viel arbeitet, setzt unter Umständen die Gesundheit aufs Spiel. 

Weniger Stunden pro Tag zu arbeiten ist allerdings etwas anderes als der Wegfall eines Arbeitstags. Der damit verbundene Freizeitgewinn mag ebenfalls positive Wirkungen auf die Lebenszufriedenheit haben. Für Industrieunternehmen wird viel davon abhängen, ob sie bei einem generellen Übergang zur Vier-Tage-Woche dafür sorgen können, dass ihre Produktionsanlagen durch Einstellung von mehr Arbeitskräften durchgehend ausgelastet bleiben. Dass die Gesamtleistung bei Wegfall eines Arbeitstags nicht sinkt, dürfte jedoch eher die Ausnahme sein.

Gesamtwirtschaftliche Folgen einer Vier-Tage-Woche

In einer Volkswirtschaft wie Deutschland, in der wegen des demografischen Wandels die Arbeitskräfte immer knapper werden, erscheint es abwegig, Arbeitszeiten auch noch zu verkürzen. Doch es gibt auch einen Gegeneffekt: Heute ist es bei Paaren mit Kindern häufig so, dass einer in Vollzeit arbeitet und der andere nur einen Teilzeitjob hat, um die Kinder versorgen zu können. Der Übergang zu einer Vier-Tage-Woche für Vollzeitbeschäftigte könnte zur Folge haben, dass Kinderbetreuung und Hausarbeit gleicher verteilt werden und der Partner, der bislang nur Teilzeit gearbeitet hat, mehr arbeitet. Dies würde, sozusagen als positiver Nebeneffekt, die Gleichstellung von Männern und Frauen fördern. Unter dem Strich dürfte die Vier-Tage-Woche dennoch zu einem geringeren Arbeitsangebot und damit auch zu einer geringeren Wirtschaftsleistung führen.

Den Genuss freier Zeit kann man zudem auch als Konsumgut verstehen, das Nutzen und damit Wohlstand stiftet. Wenn Menschen sich für ein Leben mit mehr Freizeit und weniger Konsum von Gütern und Dienstleistungen entscheiden, ist das ökonomisch weder falsch noch irrational – und dennoch ein gesamtwirtschaftliches Problem. Denn wer Arbeitseinkommen erzielt und es für Konsum ausgibt, trägt mit Steuern und Abgaben zur Finanzierung des Staatshaushalts und der Sozialkassen bei. Wer seine Freizeit genießt, tut das nicht. 

Auswirkungen auf die Sozialkassen

Wegen der Umlagefinanzierung der Rentenversicherung erfordern sinkende Arbeitseinkommen in Folge der Vier-Tage-Woche auch sinkende Renten. Der von den Beschäftigten akzeptierte Konsumverzicht müsste zwangsweise auf die Rentner übertragen werden, die nicht von mehr Freizeit profitieren. Bei der Kranken- und Pflegeversicherung gibt es ähnliche Probleme. Bei sinkenden Einnahmen die wachsende Zahl älterer Menschen angemessen zu versorgen, ist kaum möglich.

Glücklicherweise ist unsere Soziale Marktwirtschaft kein Wirtschaftssystem, in dem man alle Arbeitnehmer über einen Kamm scheren und ihnen vorschreiben muss, wie lange sie arbeiten sollen. Moderne Unternehmen und ihre Beschäftigten sind heute so flexibel, dass sie die Arbeitszeiten so vereinbaren, dass sie beiden Seiten gerecht werden. 

Politik und Tarifpartner sollten die Rahmenbedingungen allerdings so gestalten, dass Anreize für Erwerbstätigkeit gestärkt werden. Dazu gehört es, im Bereich des Bürgergelds Teilzeitarbeit weniger und Vollzeitarbeit mehr zu fördern. Dazu gehört auch, die Kinderbetreuung weiter auszubauen, die Ehegattenbesteuerung zu reformieren und öffentliche Ausgaben zu begrenzen, damit Spielräume entstehen, Steuern und Abgaben auf Arbeitslöhne zu senken. Nicht zuletzt lässt sich Arbeitskräfteknappheit auch durch höhere Löhne lindern. Wer stattdessen die Vier-Tage-Woche propagiert, steuert in die falsche Richtung.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Die ökonomischen Fallstricke einer Viertagewoche“, WirtschaftsWoche, 2. Juni 2023
 

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Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2023
ifo Standpunkt Nr. 249
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