Stellungnahme -

ifo Standpunkt 232: Ökonomische Folgen der Covid-19-Pandemie und Lehren für künftige Krisen: Ergebnisse aus der Wirtschaftsforschung

Die Covid-19-Pandemie hat neben den gesundheitlichen Schäden hohe wirtschaftliche Kosten verursacht. Was kann man aus der Analyse der ökonomischen Folgen und des Krisenmanagements in Politik und Gesellschaft lernen? Dazu liegt mittlerweile eine umfangreiche Forschung vor, die sich allerdings hauptsächlich auf die frühere Phase der Pandemie bezieht, im Wesentlichen auf Erfahrungen und Daten aus dem Jahr 2020. Für den Umgang mit künftigen Pandemien ergeben sich daraus verschiedene Lehren. Die wichtigste betrifft die Frage, ob es einen Zielkonflikt gibt zwischen dem Schutz der Gesundheit einerseits und der Begrenzung der wirtschaftlichen Kosten. 

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Gesundheit und Wirtschaft im Zielkonflikt?

Die Antwort ist ein eindeutiges Nein. Die Vorstellung, man könnte wirtschaftliche Schäden einer gefährlichen Pandemie begrenzen, indem man auf staatlich verordnete Kontaktbeschränkungen verzichtet und hinnimmt, dass der Krankheitserreger sich verbreitet, ist irreführend. Das hat vor allem zwei Gründe. Erstens verlängert und verschärft eine solche Politik Infektionswellen. Zweitens reagieren Menschen unabhängig von staatlichen Maßnahmen auf die Gefahr, sich zu infizieren, indem sie auf bestimmte Formen des Konsums verzichten. Das gilt vor allem für ältere Menschen mit hohen Einkommen, deren Ausgaben für die Wirtschaftsentwicklung viel Gewicht haben. Das zeigen Studien, die das Konsumverhalten in US-Bundesstaaten mit unterschiedlichen Lockdown-Politiken vergleichen. In US-Bundesstaaten, die Schließungen später verfügt oder die Wirtschaft bei ähnlicher Infektionslage früher geöffnet haben, ist kein signifikant höheres Niveau an sozialem Konsum, also Besuchen in Restaurants, beim Friseur oder bei Veranstaltungen zu beobachten. In Europa hat vor allem Schweden in der Frühphase der Pandemie einen Sonderweg verfolgt und zunächst auf Lockdown-Maßnahmen verzichtet. Vergleiche der Arbeitsmarktentwicklung in Schweden und anderen skandinavischen Ländern zeigen, dass der krisenbedingten Rückgang der Beschäftigung in Schweden etwas später kam, aber ähnlich hoch ausfiel wie in Nachbarländern, die früher Lockdown-Maßnahmen ergriffen haben. Schweden hatte 2020 letztlich einen ähnlich hohen Wachstumseinbruch wie die anderen skandinavischen Länder, aber deutlich mehr Todesopfer zu beklagen, sogar rund zehnmal so viele wie Norwegen.

Kosten entstehen vor allem durch die Pandemie selbst

Das Gesamtbild der vorhandenen empirischen Evidenz zeigt, dass mindestens 80% der Kosten in Form entfallender Wertschöpfung durch die Präsenz des Virus und die Ansteckungsgefahr selbst verursacht werden, nicht durch staatliche Lockdown-Maßnahmen im Bereich des sozialen Konsums. 

Hier könnte man einwenden, dass Lockdown-Maßnahmen überflüssig sind, wenn Menschen freiwillig Kontakte vermeiden. Das würde jedoch zu weit gehen. Dass Beschränkungen sozialer Kontakte Infektionen eindämmen, ist gut dokumentiert. Kontaktbeschränkungen verringern die Übertragung des Virus vor allem durch Menschen, die nicht freiwillig oder aus Furcht vor Ansteckungen Kontakte meiden oder das auch gar nicht können, wie beispielsweise Kinder, die zur Schule gehen müssen. Staatliche Maßnahmen, die Infektionen verringern, richten nicht nur geringen wirtschaftlichen Schaden an. Soweit sie Infektionswellen eindämmen und verkürzen und dadurch sozialen Konsum früher wieder ermöglichen, verringern sie sogar wirtschaftliche Kosten der Pandemie. Gerade in Deutschland ist deutlich geworden, dass für proaktives Handeln dieser Art die Digitalisierung von Schulen und öffentlicher Verwaltung eine wichtige Voraussetzung ist. Hier liegt eine wichtige Aufgabe für die kommenden Jahre.

Lockdown hat schwer messbare Langzeitfolgen

Das bedeutet allerdings nicht, dass jegliche Form von Lockdown-Maßnahmen für die Wirtschaftsentwicklung unproblematisch ist. In der frühen Phase der Pandemie wurden nationale Grenzen nicht nur für Touristen und Geschäftsreisende, sondern auch für den Güterverkehr geschlossen. Letzteres hat zur Eindämmung der Infektionen kaum beigetragen, aber zu einem Einbruch der Industrieproduktion geführt, weil Vorprodukte nicht mehr geliefert wurden und industrielle Wertschöpfungsketten kollabierten. Problematisch ist außerdem, dass sich politisches Handeln vielfach auf Lockdown-Maßnahmen beschränkte, wo proaktives Handeln, vor allem mehr Tests und schnelleres Nachverfolgen von Infektionen, möglich und nötig gewesen wäre. Das hätte zum einen die Verbreitung des Virus deutlich eingedämmt. Zum anderen wären frühere Öffnungen wichtiger Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens durch mehr Tests und Hygienemaßnahmen möglich gewesen. Besonders gravierend sind die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Schulschließungen während der Pandemie. Bildungsökonomische Studien zeigen, dass ein Drittel eines Jahres entfallender Schulunterricht das Lebenszeiteinkommen der betroffenen Schüler um 3–4% reduzieren kann. Zwar ist der Unterricht in der Pandemie zu einem erheblichen Teil ins Internet verlegt worden, aber das kann den Präsenzunterricht nicht wirklich ersetzen, vor allem nicht für Kinder aus Familien, in denen die Eltern beim Lernen nicht unterstützen können. Daraus folgt eine zweite wichtige Lehre aus der Pandemie: Eine Politik, die sich auf Lockdown-Maßnahmen beschränkt und die Pandemie nicht proaktiv durch umfangreiches Testen und Nachverfolgen von Infektionen bekämpft, erhöht nicht nur die gesundheitlichen Schäden, sondern auch die wirtschaftlichen Kosten der Pandemie. 

Kluge Stabilisierungspolitik dämpft Konjunktureinbruch

Eine weitere wichtige Lehre für die Wirtschaftspolitik besteht darin, dass gezielte und entschlossene Konjunkturpolitik hohe Bedeutung für die Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung während der Pandemie hat. Klassische Maßnahmen der Konjunkturpolitik mit dem Ziel, die Nachfrage zu stützen, sind hier jedoch nicht sinnvoll. In einer Pandemiesituation ist wirtschaftliche Aktivität ja nicht beeinträchtigt, weil es zu wenig Kaufkraft gibt, sondern weil wirtschaftliche Aktivität, bei der Menschen zusammenkommen, nicht möglich ist. Konjunkturpolitik muss sich also darauf konzentrieren, die Zeit der Pandemie zu überbrücken und dafür zu sorgen, dass in dieser Zeit möglichst wenig irreparabler Schaden entsteht. Außerdem besteht in Krisen vor allem an Finanzmärkten die Gefahr, dass das Vertrauen kollabiert und Banken die Kreditvergabe an Unternehmen oder private Haushalte so weit einschränken müssen, dass daraus eine sich selbst verschärfende Krise entsteht. Regierungen und Notenbanken haben das in der Krise verhindert, indem sie umfangreiche staatliche Kredite und Bürgschaften, teilweise auch Eigenkapital bereitgestellt haben. Außerdem haben hohe Ausgaben für Kurzarbeitergeld und Finanzhilfen vor allem für kleinere Unternehmen geholfen, Insolvenzen und soziale Härten in der Krise einzudämmen. In Folge dieser staatlichen Eingriffe ist die Staatsschuldenquote in Deutschland um rund 15 Prozentpunkte gestiegen. Ohne diese Stabilisierung wäre der wirtschaftliche Einbruch jedoch deutlich schärfer verlaufen. Die Verschuldungsquote wäre eventuell sogar höher, weil der Nenner dieser Quote, das Bruttoinlandsprodukt, noch stärker gefallen wäre.      
 

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts


Erschienen in Forschung und Lehre, November 2021.

ifo Standpunkt
Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2021
ifo Standpunkt Nr. 232
Das könnte Sie auch interessieren

Artikel

ifo Standpunkte