Stellungnahme -

ifo Standpunkt 223: Die Schuldenbremse abzuschaffen lohnt sich nicht

Die in Artikel 115 des Grundgesetzes verankerte Schuldenbremse wird seit ihrer Einführung 2009 kontrovers diskutiert. Kritiker argumentieren, für den Fall großer wirtschaftlicher Einbrüche sei das maximal zulässige Defizit für den Bundeshaushalt in Höhe von 0,35% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu klein, selbst wenn es um Konjunktureffekte bereinigt wird.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Die Schuldenbremse führe außerdem zu einem überzogenen Rückgang der Staatsschulden und schaffe Anreize, öffentliche Investitionen zu vernachlässigen. Darüber hinaus seien die Zinsen so niedrig, dass man sich deutlich mehr Staatsverschuldung leisten könne. 

Verteidiger der Schuldenbremse verweisen auf die hohen impliziten Schulden in den sozialen Sicherungssystemen und die Belastung der Staatsfinanzen durch den demografischen Wandel. Außerdem habe Deutschland eine Vorbildfunktion in Europa: Wenn Deutschland seine Schuldenbremse abschafft, würden in anderen und höher verschuldeten Staaten Europas alle Dämme brechen.

Grundsätzlich ist es gerechtfertigt, zwölf Jahre nach der Einführung der Schuldenbremse zu untersuchen, ob sie sich bewährt hat und ob angesichts veränderter Umstände Reformen nötig sind. Allerdings sind viele der Gegenargumente bei näherem Hinsehen wenig überzeugend.

Spielraum für die Coronakrise

 Das gilt vor allem für die Kritik, in schweren Krisen hätte der Staat zu wenig Spielräume zur Stabilisierung der Wirtschaft. Die Corona-Pandemie hat die öffentlichen Haushalte in Deutschland tief in die roten Zahlen gestürzt. Im Krisenjahr 2020 gab es ein Rekorddefizit von 131 Mrd. Euro, 2021 ist eine Nettokreditaufnahme von 96 Mrd. Euro geplant. Der Staat hat auf die Krise mit massiven Hilfen für Unternehmen und Beschäftigte reagiert.

Dies war möglich, weil die Schuldenbremse Ausnahmen vorsieht: Die Obergrenze für das Haushaltsdefizit lässt sich im Fall schwerer Krisen durch Beschluss des Bundestages vorübergehend aufheben. Für die zusätzlich aufgenommenen Schulden muss die Politik allerdings einen Tilgungsplan beschließen, der die Schulden „konjunkturgerecht“ zurückführt. Für die im Jahr 2020 krisenbedingt aufgenommenen Schulden wurde beschlossen, dass sie ab 2023 über einen Zeitraum von 20 Jahren zu tilgen sind. Sicher lässt sich darüber streiten, ob dieser Plan angemessen ist. Man kann aber nicht behaupten, der Staat sei in der Krise nicht handlungsfähig. Diese Bewährungsprobe hat die Schuldenregel bestanden.

Wenig überzeugend ist auch der Vorwurf, sie verursache einen überzogenen Rückgang der Verschuldungsquote. Es ist richtig, dass die Staatsschulden bei einem konstanten Defizit von 0,35% vom BIP und einer Wachstumsrate von beispielsweise 3% langfristig auf 11,7% sinken würde. Doch dürfte die nächste Krise lange vorher kommen. In der Coronakrise jedenfalls war der durch die Schuldenbremse unterstütze Rückgang der Schuldenquote auf knapp unter 60% sehr hilfreich: So entstand der Spielraum, die Schulden zu erhöhen und die Wirtschaft zu stützen, ohne dass Zweifel an der Solidität der Staatsfinanzen aufkamen.

Keine Bremse für Investitionen

Auch bei den öffentlichen Investitionen im Bundeshaushalt ist nicht erkennbar, dass die Schuldenbremse negativ wirkt. Diese waren vor allem in den Jahren 2000 bis 2008 niedrig – also vor ihrer Einführung. Seit 2014, dem ersten Jahr der „schwarzen Null“ im Bundeshaushalt, sind sie etwa doppelt so schnell gestiegen wie das BIP. Zwar ist richtig, dass die derzeit sehr niedrigen Zinsen und freie Kapazitäten in der Bauwirtschaft dafür sprechen, die öffentlichen Investitionen auszuweiten. Wenn dafür Spielräume in den Haushalten fehlen, können aber Bundesunternehmen wie etwa die Deutsche Bahn mit öffentlichen Mitteln für Investitionen ausgestattet werden. 

Alternative Regel? Fehlanzeige!

Auch wenn die Argumente für eine Abschaffung der Schuldenbremse schwach sind, ist es überzogen, jede Forderung nach Reformen als Anschlag auf die Solidität der Staatsfinanzen zurückzuweisen. Man kann durchaus der Meinung sein, dass die Verlagerung von schuldenfinanzierten öffentlichen Investitionen in öffentliche Unternehmen die Transparenz der Finanzpolitik schwächt und – wie in früheren Zeiten – eine Nettoinvestitionsregel besser wäre. Die erforderliche Abgrenzung zwischen investiven und konsumtiven Staatsausgaben würde dann allerdings ebenso zum Streitthema wie die Ermittlung angemessener Abschreibungen. 

All dies spricht dafür, den oft ideologisch geführten Streit über die Schuldenbremse zu beenden. Eine Grundgesetzänderung dürfte keine bessere Schuldenregel bringen. Es ist daher viel wichtiger, die finanziellen Spielräume für einen klugen Ausbau öffentlicher Investitionen zu nutzen. Die Defizitgrenze lässt sich mit einfacher Bundestagsmehrheit so lange aussetzen, bis sich die Wirtschaft hinreichend von der Coronakrise erholt hat. 

Auch das zeigt, dass die Schuldenbremse klüger konstruiert ist als viele Kritiker behaupten.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Warum die Kritiker der Schuldenbremse Unrecht haben“, WirtschaftsWoche, 12. März 2021, S. 42.

ifo Standpunkt
Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2021
ifo Standpunkt Nr. 223
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