Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 215: Die Coronaepidemie: Ökonomische Folgen und politischer Handlungsbedarf

18.03.2020

Mit der Coronakrise gerät Deutschland in eine komplexe Wirtschaftskrise, deren Dimensionen derzeit viele noch unterschätzen. Die deutsche Wirtschaft ist einem simultanen Angebots- und Nachfrageschock ausgesetzt. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Kreditversorgung der Wirtschaft gestört wird und die Staatsschuldenkrise im Euroraum zurückkehrt. Die richtige wirtschaftspolitische Antwort besteht in einer Kombination massiver Stützungsmaßnahmen, bei denen es auf Zielgenauigkeit und schnelles Handeln ankommt. 

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Beeinträchtigtes Güterangebot und Einbruch der Nachfrage

Das Angebot an Gütern und Dienstleistungen wird beeinträchtigt, weil die Belegschaft von Unternehmen durch Erkrankung und Quarantäne dezimiert ist. Viele Unternehmen stellen die Produktion wegen der Ansteckungsgefahr oder wegen fehlender Vorprodukte ein.

Gleichzeitig bricht die Nachfrage ein. Das gilt für alle Branchen des „sozialen Konsums“. Messen, Konferenzen, Kultur- und Sportveranstaltungen fallen aus, Urlaubsreisen werden abgesagt. Hotels und Restaurants sind leer. Die Folgen sind dramatisch; für viele Selbständige sowie kleine und mittlere Unternehmen sinken die Umsätze auf null.

Die Nachfrage leidet aber nicht nur beim sozialen Konsum. Der Automarkt in China schrumpfte im Februar um 80%. Viele Menschen erwarten Einkommensverluste und stellen Autokäufe sowie andere Anschaffungen zurück. Unternehmen legen Investitionsprojekte auf Eis.

Konjunktur stürzt ab

Die Konjunktur wird während der akuten Zeit der Epidemiebekämpfung abstürzen. Noch zu Beginn des Jahres erwartete die Bundesregierung für 2020 ein Wachstum von 1,1%. Wenn die Wirtschaftsaktivität nur für zwei Monate auf 65% des Normalniveaus zurückgeht und danach wieder wächst, wie erwartet, würde die Wirtschaftsleistung für das Gesamtjahr um 5% schrumpfen. Das wäre ein Einbruch wie im Finanzkrisenjahr 2009. Es kann aber auch deutlich schlimmer kommen.

Was ist jetzt zu tun? Die richtige Antwort liegt nicht in einem herkömmlichen Konjunkturprogramm, das pauschal durch Steuersenkungen und höhere staatliche Ausgaben die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stützt. Das gilt zumindest im aktuellen Stadium der Krise. Im Bereich des sozialen Konsums ist eine Stützung der Nachfrage so lange kontraproduktiv, wie die Bekämpfung der Virusausbreitung Priorität hat.

Nebenwirkungen abfedern

So lange die Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie ein „Einfrieren“ der Wirtschaft erfordern, gilt es, die schädlichen Nebenwirkungen zu bekämpfen. Großzügigere Regeln für Kurzarbeitergeld sind bereits beschlossen. Zusätzliche Hilfen für Menschen, die ihr Einkommen verlieren, sind dringend. Liquiditätshilfen und staatliche Garantien können eine Insolvenzwelle abwenden. Dass davon auch ausländische Banken profitieren, darf kein Hinderungsgrund sein. Hier ist internationale Kooperation entscheidend. Für kleine Unternehmen und Selbständige sollten für einige Monate alle Steuerzahlungen ausgesetzt werden.

Kreditversorgung sichern

Gleichzeitig muss verhindert werden, dass die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten einbricht. Banken müssen mit Kreditausfällen rechnen. Wenn sie dadurch Eigenkapital verlieren, könnten die Kapitalregulierungen erzwingen, auch andere Kredite zu kündigen. Das würde die Krise verschärfen. Die Bankenaufsicht sollte die Spielräume der Banken deshalb vorübergehend erweitern.

Rückkehr der Euro-Staatsschuldenkrise verhindern

Akute Gefahr droht den Staatsfinanzen im Euroraum. Bei hoch verschuldeten Ländern könnte es zu einem Kollaps des Vertrauens kommen. Noch Ende Februar lagen die Zinsen auf zehnjährige Anleihen Italiens unter 1%. Binnen Tagen sind sie auf über 2% gestiegen. Die Staaten des Euroraums einschließlich der EZB müssen klar signalisieren, dass alle Länder konsequent gestützt werden und Ausfälle bei Staatsschulden ausgeschlossen sind.

Gegen so massive Hilfen für Unternehmen und Staaten könnte man einwenden, dass Verluste von Steuergeldern drohen, Staatsschulden steigen, Unternehmen eigentlich selbst für ihre Solvenz verantwortlich sind und Banken erneut übermäßige Risiken eingehen könnten. Diese Einwände wären in einer Normalsituation überzeugend. Angesichts der akuten Krise sind sie es aber nicht. Jetzt sind drastische Maßnahmen erforderlich, um zu verhindern, dass die Wirtschaft durch kollabierende Unternehmen, Jobverluste und Panik im Finanzsektor in einen Abwärtsstrudel gerät. Wenn die Krise überwunden ist, gehören Forderungen nach weniger Staatsschulden und mehr Risikovorsorge seitens der Banken wieder auf die Tagesordnung. Vorher nicht.

 

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

 

Erschienen unter dem Titel „Unterschätzte Gefahr“, Handelsblatt, 18. März 2020, S. 48.

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Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2020
ifo Standpunkt Nr. 215
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