Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 208: Die Schuldenbremse steht in der Kritik – sichert aber nachhaltige Finanzpolitik

25.10.2019

Die Kritik an der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse nimmt zu. Angesichts des Abschwungs argumentieren immer mehr Politiker und Ökonomen, sie blockiere eine angemessene Konjunkturpolitik und sei ein Hindernis für öffentliche Investitionen. Was ist von diesen Vorwürfen zu halten? Es ist richtig, zehn Jahre nach der Einführung der Schuldenbremse zu fragen, ob dieses Instrument noch zeitgemäß ist. Doch die Kritik ist überzogen. Die Hoffnungen, die manche mit einem Ende der Schuldenbremse verbinden, sind unrealistisch. Und die Schuldenbremse verhindert keineswegs, dass die Politik im Krisenfall konjunkturell gegensteuern kann. Die deutsche Konjunktur schwächelt, soll sich nach aktuellen Prognosen 2020 aber stabilisieren. Ein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm käme nur dann in Frage, wenn sich der Abschwung wider Erwarten verschärft. Dann könnte man durch verbesserte Abschreibungen für Investitionen und das Vorziehen der geplanten Soli-Abschaffung von 2021 auf 2020 gegensteuern.

 

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Es ist richtig, zehn Jahre nach der Einführung der Schuldenbremse zu fragen, ob dieses Instrument noch zeitgemäß ist. Doch die Kritik ist überzogen. Die Hoffnungen, die manche mit einem Ende der Schuldenbremse verbinden, sind unrealistisch. Und die Schuldenbremse verhindert keineswegs, dass die Politik im Krisenfall konjunkturell gegensteuern kann.

Die deutsche Konjunktur schwächelt, soll sich nach aktuellen Prognosen 2020 aber stabilisieren. Ein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm käme nur dann in Frage, wenn sich der Abschwung wider Erwarten verschärft. Dann könnte man durch verbesserte Abschreibungen für Investitionen und das Vorziehen der geplanten Soli-Abschaffung von 2021 auf 2020 gegensteuern.

Kritik an Schuldenbremse greift nicht

Die Schuldenbremse steht dem nicht im Wege. Das Defizit des Bundes darf zwar 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten. Dabei geht es jedoch um das konjunkturbereinigte Defizit. Nach der aktuellen Finanzplanung dürfte der Bund 2020 rund 10 Milliarden Euro Schulden aufnehmen. Bricht die Wirtschaft ein, würde sich die Summe erhöhen. Es sind also genug Spielräume vorhanden.

Falls nötig kann die Defizitgrenze sogar kurzfristig überschritten werden. Überschießende Defizite sind dann von der Politik in einem Kontrollkonto zu vermerken und später konjunkturgerecht zurückzuführen. Das statistische Verfahren zur Konjunkturbereinigung wird oft als unzureichend kritisiert. Das spricht aber nur für eine Änderung des Verfahrens, nicht dafür, die Schuldenbremse über Bord zu werfen.

Auch der zweite Kritikpunkt an der Schuldenbremse, das vermeintliche Verhindern von mehr Investitionen, greift zu kurz. Es ist jederzeit möglich, durch eine Ausgabenumschichtung im Haushalt mehr Investitionen zu finanzieren. Ob die Politik das will, ist eine andere Frage. In den vergangenen Jahren war das nicht nötig, weil durch sinkende Zinsen und sprudelnde Steuereinnahmen mehr Geld vorhanden war, als sich sinnvoll ausgeben ließ. Seit 2014, dem ersten Jahr mit ausgeglichenem Bundeshaushalt, sind die öffentlichen Investitionen etwa doppelt so schnell gewachsen wie das BIP.

Investitionslücken bestehen zwar bei einem Teil der Kommunen. Aber die unterliegen der Schuldenbremse nicht. Kommunen konnten Investitionen bislang mit Schulden finanzieren und dürfen das auch künftig. Bund und Länder können ebenfalls weiterhin schuldenfinanziert investieren. Jenseits der Verschuldungsgrenzen müssen sie das allerdings außerhalb der regulären Haushalte organisieren, etwa in öffentlichen Unternehmen wie der Bahn.

Neue Rahmenbedingungen machen Schuldenbremse nicht überflüssig

Sicher, die Welt hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Die Zinsen auf deutsche Staatsschulden sind in den negativen Bereich gerutscht, die Staatsschuldenquote unter die europäische Höchstgrenze von 60 Prozent des BIP gefallen. Die niedrigen Zinsen bedeuten, dass schuldenfinanzierte Staatsausgaben aus gesamtwirtschaftlicher Sicht attraktiver geworden sind. Dadurch hat sich die Dringlichkeit einer Schuldenbremse relativiert.

Das heißt aber nicht, dass man sie abschaffen sollte. Denn was wären die Folgen? Man kann nicht davon ausgehen, dass zusätzliche Verschuldungsspielräume vorrangig für mehr Investitionen genutzt würden. Es gibt vielfältige Wünsche nach mehr konsumtiven Ausgaben, höheren Sozialleistungen und niedrigeren Steuern und Abgaben. Zu erwarten wäre also eine Mischung aus höheren konsumtiven Staatsausgaben, Steuersenkungen und mehr öffentlichen Investitionen. Die Hoffnung, der Abschied von der Schuldenbremse könnte die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen verbessern, ist deshalb zu optimistisch. Mehr schuldenfinanzierter Konsum muss kein Nachteil sein, Konsum stiftet Nutzen. Aber mehr Nachhaltigkeit entsteht so nicht.

Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen hängt zudem auch von den impliziten Schulden ab. In den vergangenen Jahren hat die Politik durch Beschlüsse wie die Einführung der Mütterrente und der Rente ab 63 die implizite Staatsschuld ausgedehnt. Auch das spricht dafür, die expliziten Staatsschulden zu begrenzen.

Grundsätzlich gilt: Verfassungsregeln, die Spielräume begrenzen, sind nie hilfreich, wenn politische Entscheidungen stets optimal sind. Genau das sind sie aber nicht. Im politischen Prozess setzen sich kurzfristige Erwägungen oft gegenüber langfristigen Anliegen durch. Deshalb haben die politischen Entscheidungsträger selbst die Schuldenbremse eingeführt. Sie zwingt die Politik, im Interesse nachhaltiger Finanzpolitik Prioritäten zu setzen. Die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen hat sich seitdem verbessert, aber nicht so sehr, dass die Schuldenbremse entbehrlich wäre. Der Preis dieser Regel besteht darin, dass die eine oder andere nützliche Ausgabe oder steuerliche Entlastung ausbleiben mag. Aber dieser Preis ist nicht zu hoch.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

 

Erschienen unter dem Titel „Geld ist genug da“, in WirtschaftsWoche, 25. Oktober 2019, S. 46.