Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 201: Die Aktienkultur und der Schatz der Deutschen

24.01.2019

Mit seinem Vorschlag, das Aktiensparen zu fördern, hat Friedrich Merz ein wichtiges Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Die Deutschen sparen fleißig, aber ein großer Teil davon landet auf dem Sparbuch. In Zeiten von Nullzinsen ist das keine gute Anlage. Wegen der Alterung der Bevölkerung sinken die umlagefinanzierten Renten. Die entstehende Lücke kann man mit Sparen zu Nullzinsen kaum ausgleichen. Aktien bieten mittelfristig eine höhere Rendite.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Friedrich Merz will die Aktienanlage deshalb steuerlich entlasten. Ist das sinnvoll? In einer Gesellschaft mit mündigen Bürgern kann es durchaus zu den Staatsaufgaben gehören, alle Bürger zu verpflichten, in gewissem Umfang für die Rente vorzusorgen. Mit welchem Anlageportfolio die Bürger das erreichen, ist allerding ihre Sache. Die Einkommensteuer sollte Aktien weder diskriminieren noch fördern. Tatsächlich werden Aktien im bestehenden Steuersystem diskriminiert. Die Fremdkapitalfinanzierung ist steuerlich attraktiver als die Eigenkapitalfinanzierung, weil Schuldzinsen bei den Unternehmen steuerlich abzugsfähig sind, Dividenden hingegen nicht. Bei den Empfängern werden Zinsen und Dividenden aber gleich behandelt. Diese Diskriminierung zu beseitigen wäre sinnvoll.

Allerdings würde eine solche Reform an der Altersvorsorge großer Teile der Bevölkerung vermutlich wenig ändern – die steuerliche Entlastung der Aktionäre käme größtenteils den oberen Einkommensschichten zu, die heute Aktien halten. Mangelnde Altersvorsorge ist aber vorrangig ein Problem der mittleren und niedrigen Einkommen.

Statt zu versuchen, das Vermögen der Bürger zu steuern, sollte der Staat erst einmal bei sich selbst beginnen. Der öffentliche Sektor hat erhebliches Potential, sein Vermögensportfolio im Interesse der Bürger ertragreicher zu gestalten. Smarte private Investoren nutzen derzeit die Niedrigzinsphase, um sich günstig zu verschulden und in Immobilien oder Aktien zu investieren. Der Unternehmer Lutz Helmig hat kürzlich vorgeschlagen, der deutsche Staat sollte das Gleiche tun, indem er einen ‚Deutschen Bürgerfonds‘ errichtet. Deutschland hat den Vorteil, wegen seiner soliden Finanzen eine hohe Bonität zu genießen. Bundesanleihen werden als das sicherste Wertpapier in der Eurozone angesehen, der deutsche Staat kann sich Geld fast zu Nullzinsen leihen. Deutschland hat keine Ölvorkommen, aber seine hohe Bonität ist ähnlich wertvoll. Man kann sie als so etwas wie den Schatz der Deutschen betrachten. Im Jahr 2019 wird die deutsche Staatsschuldenquote unter die 60 Prozent-Grenze sinken. Statt danach weiter Schulden zu tilgen könnte man eine gewisse Neuverschuldung und Haushaltsüberschüsse einsetzen, um einen Deutschen Bürgerfonds zu schaffen. Dieser Fonds würde seine Mittel weltweit diversifiziert in Aktien und andere attraktive Anlagen investieren.

Welche Erträge könnte der Fonds erwirtschaften? Der norwegische Staatsfonds, der die Öleinnahmen des Landes weltweit anlegt, hat seit 1998 einen durchschnittlichen Ertrag von 6 Prozent erwirtschaftet. Man nehme an, dass der deutsche Staatsfonds künftig 5 Prozent erwirtschaftet und sich für ein Prozent verschuldet. Wenn der Fonds jedes Jahr Mittel in Höhe von 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes investiert und davon aus Steuermitteln 0,5 Prozent – derzeit etwa 17 Mrd. Euro – finanziert werden und der Rest durch Schulden, würde der Bürgerfonds bis zum Jahr 2050 ein Nettovermögen von rund 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Jeder Bürger würde ab einem Alter von 20 Jahren Mitglied im Bürgerfonds, bekäme regelmäßige Auszüge über den Wert des eigenen Anteils und würde ihn im Alter von 67 Jahren ausgezahlt bekommen. Wer heute 35 Jahre alt ist, bekäme im Jahr 2050 rund 41200 Euro. Wenn man die jährliche Schuldenaufnahme auf 1% des BIP ausdehnen könnte, vorausgesetzt, das ist mit der Schuldenbremse im Grundgesetz vereinbar, wären es 53700 Euro.

Viele Menschen sehen die Idee, der Politik zu erlauben, Schulden aufzunehmen, um für die Bürger Vermögen zu bilden, skeptisch. Es ist jedoch möglich, den Fonds durch rechtliche Vorkehrungen dem Zugriff der Tagespolitik zu entziehen. Er könnte von der Bundesbank verwaltet werden. Der Bürgerfonds bietet die Chance, vor allem für Menschen mit niedrigen Einkommen die oft spärliche gesetzliche Rente ohne eigene Sparbeiträge erheblich aufzubessern. Diese Chance sollten wir nutzen.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Der Schatz der Deutschen“ im Handelsblatt, 5. Dezember 2018, S. 48.

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ifo Institut, München, 2019
ifo Standpunkt Nr. 201