Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 196: Italiens neue Regierung: Transfer-Union oder Euro-Austritt

Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega Nord haben im italienischen Wahlkampf versprochen, massiv Steuern zu senken und Staatsausgaben zu erhöhen. Wie ein Land mit einer Staatsschuldenquote von 132 Prozent seiner Wirtschaftsleistung das finanzieren soll, war bislang unklar. Mittlerweile ist eine erste Fassung eines Koalitionsvertrags der beiden Parteien in die Öffentlichkeit geraten, der klärt, woher das Geld kommen soll: Aus dem Geldbeutel der Steuerzahler in anderen Ländern der Eurozone. Wenn die nicht mitspielen, wollen die Koalitionäre aus der Eurozone austreten.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Wie soll der Geldtransfer funktionieren? Die Europäische Zentralbank (EZB) soll italienische Staatsanleihen für 250 Milliarden Euro, die sie im Rahmen des „Quantitative Easing“ gekauft hat, annullieren. Damit wäre Italien gut zehn Prozent seiner Staatsschulden los. Noch keine dauerhafte Sanierung, aber für ein paar Jahre hätte man Luft. Zwischenzeitlich hat Matteo Salvini, der Chef der Lega Nord, allerdings bekanntgegeben, diese Forderung sei nicht mehr aktuell. Möglicherweise hat ihn jemand darauf hingewiesen, dass das EZB-Kaufprogramm für Staatsanleihen eine Haftung der nationalen Notenbanken für die Anleihen des eigenen Landes vorsieht. Die Annullierung der italienischen Staatsanleihen würde also bei der italienischen Zentralbank ein Loch in die Bilanz reißen. Da diese Bank dem italienischen Staat gehört, wäre für die neue italienische Regierung nichts gewonnen. Das ist so, als würde man eine Bank ausrauben, die einem selbst gehört.

Finanzielle Entlastung für Italien gibt es nur, wenn die anderen Eurostaaten die Kosten tragen. Das durchzusetzen, könnte man auf anderem Weg versuchen. Die italienische Notenbank ist ihrerseits mit rund 440 Milliarden Euro beim Rest des Eurosystems verschuldet – mit diesen Krediten hat die italienische Notenbank unter anderem den Kauf der italienischen Staatsanleihen finanziert. Wenn die italienische Notenbank insolvent wäre, müsste die EZB diese Forderungen abschreiben. Eine Insolvenz der Bank von Italien ist wohl nur denkbar, wenn Italien aus dem Euro austritt. Aber dann schon. Mit der Drohung, aus dem Euro auszutreten und die Target-Schulden von 440 Milliarden Euro nicht zu begleichen, könnte Italien erheblichen Druck ausüben, damit die 250 Milliarden Euro an Schulden bei der Bank von Italien doch von anderen Ländern übernommen werden.

Das führt zur zweiten Forderung, die im Koalitionspapier zu finden ist. Eine Austrittsklausel für die Eurozone. Die Mitgliedstaaten der Eurozone sollen in die Lage versetzt werden, ihre „monetäre Souveränität wiederzuerlangen, wenn die Bevölkerung das will“. Das hört sich an, als wollten die Koalitionäre mit einer Volksabstimmung darüber drohen, ob das Land den Euro und damit auch die als Zwangsjacke empfundenen Verschuldungsregeln in der Eurozone abschütteln will.

Wie wenig die Koalitionäre von der gegenwärtigen Architektur der Eurozone halten, wird auch in den Passagen zum Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt und zum Fiskalpakt deutlich. Dort sind die Schuldengrenzen und die Verfahren zur wirtschaftspolitischen Koordination verankert. Das Papier von Lega Nord und Fünf Sterne bezeichnet diese Verträge ausdrücklich als „ökonomisch und sozial unbegründet und nicht nachhaltig“. Dass Italien selbst diese Verträge unterzeichnet hat, kümmert sie nicht.

Die Botschaft dieses Koalitionsvertrags ist klar: Entweder Deutschland, Frankreich und der Rest der Eurozone übernehmen einen erheblichen Teil der Schulden Italiens – vorerst 250 Milliarden Euro, später vielleicht mehr – oder das Land tritt aus der Eurozone aus. Die Politik in Deutschland sollte beginnen, ernsthaft darüber nachzudenken, welche dieser unattraktiven Optionen sie für das geringere Übel hält.

Nun liegt auf der Hand, dass die neue Regierung Italiens die europäischen Partner nicht ganz so brutal vor die Wahl stellen wird, zu zahlen oder den Austritt Italiens aus dem Euro hinzunehmen. Die Antwort auf eine so unverblümte Erpressung könnte ja nur lauten, dass Italien austreten muss. Auch in Italien gäbe es massive Widerstände gegen einen solchen Schritt. Lega-Chef Matteo Salvini hat auch schon beteuert, es handle sich bei dem Koalitionspapier um eine veraltete Fassung, die nicht mehr aktuell sei. Tatsächlich stammt das Papier allerdings vom Montag dieser Woche, und es kommt eher selten vor, dass Politiker einen vorläufigen Koalitionsvertrag verfassen und ihn der Presse zuspielen, nur um ihn anschließend ins Gegenteil zu verkehren. Man muss damit rechnen, dass die neue Regierung in Rom mit dem Euro-Austritt spielen wird, um finanzielle Konzessionen in der Eurozone durchzusetzen.

Was ist für die nächsten Wochen und Monate zu erwarten und was können die deutsche Politik und die europäischen Institutionen tun, um ihre Interessen zu wahren?

Wenn die neuen Machthaber in Rom nicht in kürzester Zeit eine 180 Grad-Wende vollziehen, droht ein Horrorszenario. Die Unruhe an den Finanzmärkten wird wachsen. Bislang sind die Investoren erstaunlich sorglos. Die Risikozuschläge auf Staatsanleihen Italiens sind nach der Veröffentlichung des Koalitionspapiers innerhalb eines Tages um 17 Basispunkte gestiegen. Das ist ein Warnsignal, aber noch keine Panik. Offenbar glauben viele Investoren noch an einen Kurswechsel, aber das kann sich schnell ändern. Wenn die Investoren das Vertrauen verlieren, würde großer Schaden entstehen, nicht nur für die fragilen Staatsfinanzen. Auch die italienischen Banken würden unter Druck geraten und die Kreditvergabe drosseln. Der ohnehin verhaltene Konjunkturaufschwung in Italien käme zum Erliegen.

Wie sollten die europäischen Institutionen auf eine solche Entwicklung reagieren? Sicherlich wird es Forderungen geben, die EZB müsse Italien stützen, Banken mit Liquiditätshilfen versorgen und mehr Staatsanleihen kaufen. Das wäre jedoch gefährlich. Privates Kapital, das aus Italien flieht, beispielsweise weil italienische Sparer aus Angst vor dem Euro-Austritt ihr Geld ins Ausland überweisen, würde durch Liquidität aus dem Eurosystem ersetzt. Die Folge wäre, dass die Target-Schulden Italiens noch weiter ansteigen. Die im Fall eines Italexit drohenden Verluste für Deutschland und den Rest der Eurozone würden ins Unermessliche wachsen. Das würde die Verhandlungsposition der Fünf-Sterne-Lega-Nord-Regierung massiv stärken. Der Rest der Eurozone wäre erpressbar.

Die EZB könnte ein solches Szenario nur verhindern, wenn sie die italienische Regierung zwingt, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen. Ähnliches hat die EZB im Jahr 2015 gegenüber der Tsipras-Regierung in Griechenland durchgesetzt, wenn auch sehr spät. Dieses Szenario ähnelt der Griechenlandkrise des Jahres 2015, nur würde ein Land im Fokus stehen, dessen Wirtschaftsleistung fast das Zehnfache beträgt.

Wie sind die Perspektiven, wenn es nicht so schlimm kommt und die neue Regierung in Rom wider Erwarten ihre Forderungen aufgibt? Leider ist der Prozess der Eurozonen-Reform bereits jetzt deutlich beschädigt. Die Chancen waren schon vor der Veröffentlichung des italienischen Koalitionspapiers bescheiden, auch weil aus Deutschland konstruktive Vorschläge fehlen. Nun dürften sie auf den Nullpunkt gesunken sein.

Eine Vertiefung der Eurozone erfordert ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamen politischen Vorstellungen. Das Vertrauen zwischen den neuen Machthabern in Rom und dem Rest der Eurozone ist durch das Koalitionspapier gestört, bevor die Zusammenarbeit überhaupt begonnen hat. Aber es fehlt auch an gemeinsamen Vorstellungen über die Zukunft der gemeinsamen Währung. Wie sehr es daran fehlt, wird an einem weiteren Baustein des Koalitionspapiers von Lega Nord und Fünf Sterne deutlich. Dort wird der Vorschlag aufgegriffen, synthetische europäischer Staatsanleihen zu schaffen, „European Safe Bonds“. Die Idee besteht darin, Staatsanleihen aus allen Eurostaaten zu bündeln und durch Ausgabe neuer Anleihen zu finanzieren, von denen eine Tranche vorrangig ist und die andere nachrangig. Die Banken in der Eurozone sollen statt heimischer Staatsanleihen künftig die vorrangige Tranche des neuen Wertpapiers kaufen. Sie wären dann besser diversifiziert und weniger krisenanfällig. Entscheidend ist, dass es dabei keinerlei Gemeinschaftshaftung der beteiligten Staaten gibt. Im Koalitionsvertrag von Lega Nord und Fünf Sterne werden European Safe Bonds unterstützt, aber es ist von „synthetischer Gemeinschaftshaftung“ die Rede. Kritiker dieser Anleihen befürchten, dass damit die Gemeinschaftshaftung durch die Hintertür kommt. Sie werden hier bestätigt. So lange die Vorstellungen über die Zukunft der Eurozone so weit auseinanderliegen, kann der Euro vielleicht mühsam aufrechterhalten werden. Zum Erfolg werden kann er nicht.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Römisches Illusionstheater“, Handelsblatt, 18. Mai 2018, S. 80.

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Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2018
ifo Standpunkt Nr. 196
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