Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 193: Führt die Große Koalition Deutschland in die Transferunion? Das Euro-Junktim

Union und SPD wird derzeit von Kritikern vorgeworfen, die Eurozone zu einer Transferunion umbauen zu wollen. Es geht erstens um den Plan, den Euro-Rettungsschirm ESM im EU-Recht zu verankern. Das wirft die Frage auf, ob Deutschlands Veto für Hilfskredite an Länder mit Finanzproblemen aufgeweicht werden wird. Zweitens wollen die Koalitionäre einen neuen Finanztopf schaffen, der Ausgangspunkt für einen künftigen Investivhaushalt für die Eurozone sein soll. Zwar erwähnen die Koalitionäre, das Prinzip der Verbindung von Kontrolle und Haftung gelte auch künftig. Aber das ist ein schwacher Trost. Denn dieses Prinzip ist heute bereits stark aufgeweicht: nicht nur durch die Hilfskredite an Griechenland, die wohl nie zurückgezahlt werden, sondern vor allem auch durch die Target-Salden im EZB-System. Mit Letzteren gewährt Deutschland anderen Staaten der Eurozone einen zinslosen und unbefristeten Kredit in Höhe von über 900 Milliarden Euro. Tendenz steigend. Es wäre deshalb also dringend notwendig, die unkontrollierte Ausweitung der Haftung für andere Staaten zu hinterfragen. Die Große Koalition tut das Gegenteil. Sie nimmt Kurs in Richtung vermehrter Umverteilung und Solidarhaftung. Dazu passt, dass der geschäftsführende Bundesfinanzminister, Peter Altmaier, in Brüssel signalisiert hat, Deutschland würde einer gemeinsamen Einlagensicherung zustimmen. Er hat zwar gleichzeitig angemahnt, dass faule Kredite im Bankensystem abgebaut werden, aber das ist zu wenig.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Gefährlich an dieser Entwicklung ist weniger, dass Deutschland bereit ist, über mehr Risikoteilung im Euroraum zu verhandeln. Gefährlich ist, dass keine Gegenleistung verlangt wird. Nichts wird dafür getan, die Steuerzahler in Europa davor zu schützen, für die Versäumnisse anderer Länder und ihrer Banken zu haften. Es fehlt die unverzichtbare Balance zwischen Solidarität und Verantwortung.

Jede Versicherung reduziert Anreize, Unfälle zu vermeiden. Versicherungen sind trotzdem nützlich, aber man muss sie mit Maßnahmen kombinieren, die Fehlanreize eindämmen. Deshalb müssen Schritte hin zu mehr Solidarität verbunden werden mit besseren Vorkehrungen für eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Was also ist jetzt zu tun? Viele Kritiker wachsender Gemeinschaftshaftung im Euroraum fordern, Deutschland sollte schlicht und einfach Nein sagen und mehr Risikoteilung pauschal zurückweisen. Diese Strategie ist nicht erfolgversprechend, aus zwei Gründen. Erstens wird das ein Abdriften in Richtung Transferunion vielleicht verzögern, aber nicht verhindern. Zweitens ändert diese Weigerung nichts daran, dass Deutschland ohne Reformen in der nächsten Krise erneut in eine Zwangslage geraten wird, in der eine Haftung für Krisenstaaten alternativlos ist.

Ziel der Reform der Eurozone muss sein, die Gründe für diese Zwangslage auszuräumen. Der wichtigste Grund dafür, dass Deutschland in der letzten Krise hohe Haftungsrisiken übernehmen musste, lag in dem finanziellen Verbund von Banken und Staaten in der Eurozone. Als die Pleite Griechenlands drohte, hätte eine Anwendung der No-Bailout-Klausel eine Bankenkrise ausgelöst, weil europäische Banken massenhaft griechische Staatsanleihen in ihren Büchern hatten, aber kaum Eigenkapital zum Auffangen von Verlusten. Das Problem hat sich in den letzten Jahren verschärft. Italienische Banken halten heute mehr italienische Staatsanleihen als beim Ausbruch der Eurokrise. Wenn der italienische Staat an den Kapitalmärkten das Vertrauen verlieren würde, wären die anderen Staaten der Eurozone gezwungen, Italien zu helfen. Die Alternative, das Risiko einer unberechenbaren Bankenkrise, wäre auch für eine Bundesregierung, die eigentlich nicht helfen will, zu abschreckend.

Das Engagement der Banken in heimischen Staatsanleihen ist noch viel gefährlicher, wenn es mit einer gemeinsamen Einlagensicherung kombiniert wird. Dann könnten einzelne Staaten ihre öffentlichen Haushalte auf Kosten der Einlagensicherung sanieren. Banken könnten Kundeneinlagen zum Kauf von Anleihen ihres Heimatstaates verwenden und beim Ausfall dieser Anleihen das Geld von der europäischen Einlagensicherung zurückverlangen. In einer Währungsunion mit gemeinsamer Einlagensicherung gleichen Banken, die unbegrenzt heimische Staatsanleihen kaufen können, einem Pulverfass, dessen Lunte brennt.

Deutschland sollte sich bei der Reform der Eurozone auf etwas festlegen, das ich als Euro-Junktim bezeichne: mehr Solidarität nur in Verbindung mit einer stärkeren Verbindung von Kontrolle und Haftung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Vier Forderungen sollte Deutschland stellen: Erstens werden Investitionen von Banken in Staatsanleihen so beschränkt, dass Ausfälle bei diesen Anleihen keine Bankenkrise mehr verursachen. Zweitens sind faule Kredite im Bankensystem zügiger als bisher abzubauen. Drittens wird die Fiskaldisziplin gestärkt, indem Länder, die Grenzen für das laufende Budgetdefizit überschreiten, die überschießende Verschuldung mit nachrangigen Anleihen finanzieren müssen (Accountability Bonds). Viertens werden beim ESM bessere Vorkehrungen getroffen, damit keine Rettungskredite an überschuldete Staaten vergeben werden. Wenn diese Bedingungen erfüllt werden, kann Deutschland stärkerer Risikoteilung durch einen Eurozonenhaushalt oder eine Einlagensicherung zustimmen. Sonst nicht.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Das Euro-Junktim“, Handelsblatt, 7. Februar 2018, S. 48.

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Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2018
ifo Standpunkt Nr. 193
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