Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 179: Wie die Europäische Union ihren Haushalt reformieren muss

Was fängt die EU eigentlich mit all dem Geld an, das ihr zur Verfügung steht? Wer den Bürgern diese Frage stellt, dürfte meist diese Antwort erhalten: Ein Großteil der Mittel fließt in den Agrarsektor. Der eine oder andere dürfte sich zudem an Infotafeln vor Baustellen erinnern, die auf finanzielle Unterstützung durch die EU-Regional- und Strukturpolitik hinweisen.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Öffentliche Wahrnehmung und Realität passen hier zusammen: Der größte Anteil des EU-Haushalts entfällt exakt auf diese beiden Bereiche. Im Zeitraum 2014 bis 2020 wird die EU insgesamt 960 Milliarden Euro ausgeben, also 137 Milliarden Euro pro Jahr. Davon fließen 29 Prozent in Agrarsubventionen, 34 Prozent in regional- und strukturpolitische Projekte.

Dass hohe Agrarausgaben ein Ärgernis darstellen, ist hinreichend bekannt. Aber was verbirgt sich hinter der Regional- und Strukturpolitik? Man könnte vermuten, dass es darum geht, die wirtschaftliche Entwicklung ärmerer Mitgliedstaaten zu unterstützen. Doch das passiert nur mit einem Teil der Mittel. Erhebliche Beträge gehen auch an wohlhabende Mitgliedstaaten. Ein Beispiel ist die Errichtung eines Besucherzentrums auf dem historischen Schlachtfeld im niedersächsischen Kalkriese. Dort wurde vor 2000 Jahren der römische Feldherr Varus mit seinen Legionen von den Germanen vernichtend geschlagen. Die EU hat den Bau des Besucherzentrums mit 1,5 Millionen Euro gefördert. Ein anderes Beispiel ist ein Projekt zur Entwicklung wirtschaftlicher und sozialer Strukturen in der Dortmunder Nordstadt. Dort hat die EU in die Errichtung von Nachbarschaftszentren und die Verschönerung eines heruntergekommenen Marktplatzes 10 Millionen Euro investiert. In Pforzheim wurde ein Hallenbad in ein Kreativzentrum mit Büros für Firmengründer umgebaut, die EU war mit 3,2 Millionen Euro dabei. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Was ist davon zu halten? Der Umbau von Hallenbädern in Büros oder die Verschönerung von Marktplätzen mag sinnvoll sein. Doch es drängt sich bei solchen Projekten die Frage auf, warum die EU sie fördert. Die EU sollte sich engagieren, wenn es um gesamteuropäische Interessen geht. Der wirtschaftliche Aufholprozess Bulgariens gehört in diese Kategorie. Die Verschönerung von Marktplätzen oder der Umbau von Hallenbädern in Deutschland sicher nicht. Dies sind Angelegenheiten in kommunaler Verantwortung.

Dass die EU sich hier engagiert, ist auf mehrfache Weise schädlich. Erstens verstoßen derartige Projekte gegen das Subsidiaritätsprinzip. Die EU sollte aktiv sein, wo die lokale oder nationale Politik Aufgaben nicht oder nur zu höheren Kosten erfüllen kann. Wenn sich die EU in Projekten von lokaler oder regionaler Bedeutung engagiert (und das in wohlhabenden Staaten), dann schafft sie keinen Mehrwert, sondern höchstens mehr Bürokratie. Zweitens fehlt dann das Geld für Politiken, in denen mehr europäisches Handeln Effizienzgewinne für alle bringt. Dazu gehören der Schutz der EU-Außengrenzen, der Umgang mit Flüchtlingsmigration und das militärische Beschaffungswesen.

Warum gibt die EU Geld für Hallenbäder in Pforzheim aus und klagt gleichzeitig über mangelnde Mittel für den Grenzschutz? In den Verhandlungen über die Struktur der EU-Ausgaben ist es für jede nationale Regierung rational, möglichst viel Geld ins eigene Land zu lenken – selbst wenn die Beteiligung der EU außer Verwaltungsaufwand nichts bringt. Der Nettosaldo, also die Differenz zwischen den Beiträgen zum EU-Haushalt und dem Geld, das zurück ins Land fließt, wird oft als Indikator betrachtet, welchen Nutzen die EU einem Land erbringt. Dabei wird übersehen, dass der eigentliche Zweck des EU-Haushalts darin liegt, Politikmaßnahmen im gesamteuropäischen Interesse zu finanzieren. Es ist daher notwendig, schon zu Beginn des Budgetprozesses festzulegen, einen möglichst großen Teil der Ausgaben für Maßnahmen zu reservieren, die europäischen Mehrwert schaffen. Die Agrarausgaben sollten dagegen weiter sinken – und die Mittel für Regionalpolitik sich auf die ärmsten Mitgliedstaaten beschränken.

Brüsseler Politiker beklagen häufig, der EU-Haushalt sei mit einem Volumen von nur einem Prozent der Wirtschaftsleistung der EU zu klein, um die anstehenden Herausforderungen bewältigen zu können. Das stimmt nicht. Die Mittel müssen nur besser eingesetzt werden.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Wie die Europäische Union ihren Haushalt reformieren muss“, WirtschaftsWoche, 30. September 2016, S. 36.

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Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2016
ifo Standpunkt Nr. 179
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