Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 178: Folgen der Globalisierung für die Besteuerung

Die Globalisierung der Wirtschaft wirft für die Finanzierung staatlichen Handelns grundlegende Fragen auf. Kapital, Güter und immer mehr Menschen sind grenzüberschreitend mobil. Viele Unternehmen können Produktionsstätten, Patente und Jobs international verlagern.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Kann die nationale Steuerpolitik in diesem Umfeld noch hinreichend hohe Steuereinnahmen erzielen, um die öffentlichen Haushalte zu finanzieren? Behält die Politik die Kontrolle über die Verteilung der Steuerlast zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Reich und Arm?

Die bisherigen Erfahrungen mit der Globalisierung sprechen dafür, dass staatliches Handeln zwar finanzierbar bleibt, dass sich die Verteilung der Steuerlasten aber in Richtung weniger mobiler Besteuerungsgrundlagen verschiebt, wenn auch recht langsam.

Eine Erosion der Staatseinnahmen ist bislang nicht zu beobachten. Im OECD-Durchschnitt ist der Anteil der öffentlichen Einnahmen am Bruttoinlandsprodukt zwischen 1965 und 1995 von rund 25 Prozent auf 34 Prozent angestiegen. Seitdem ist er ungefähr konstant. In Deutschland ist die Steuer- und Abgabenquote höher als im OECD-Durchschnitt, und sie erreichte schon in den siebziger Jahren ein Niveau von rund 36 Prozent. In den 40 Jahren danach ist sie trotz einiger zwischenzeitlicher Schwankungen erstaunlich stabil geblieben.

Man könnte hier einwenden, dass sich die Expansion der Steuereinnahmen in den sechziger und siebziger Jahren ohne Globalisierung in den achtziger Jahren möglicherweise fortgesetzt hätte. Dann hätte Globalisierung doch einen Rückgang der Steuereinnahmen verursacht. Darüber kann man spekulieren, überzeugende Belege gibt es dafür aber nicht. In Ländern, die stärker der Globalisierung ausgesetzt sind, ist beispielsweise nicht zu beobachten, dass die öffentlichen Einnahmen systematisch niedriger sind als anderswo.

Anders ist die Situation bei der Struktur des Steuersystems und der Verteilung der Steuerlast. Hier zeigen sich Verschiebungen. Ein wichtiger Teil des Globalisierungsprozesses, der sich direkt auf die öffentlichen Haushalte ausgewirkt hat, ist der Abbau von Importzöllen. 1965 machten Zölle im OECD-Durchschnitt immerhin 7,1 Prozent der öffentlichen Einnahmen aus, heute sind es gerade noch 0,5 Prozent. Sichtbar ist der Einfluss der Globalisierung außerdem im Bereich der vermögensbezogenen Steuern. Dazu gehören Nettovermögensteuern ebenso wie Grundsteuern oder Erbschaftsteuern. Grund und Boden kann nicht ins Ausland abwandern, deshalb sind Grundsteuern für Staaten, die im internationalen Steuerwettbewerb stehen, eine attraktive Einnahmequelle. Steuern auf mobiles Vermögen hingegen führen zur Abwanderung des Kapitals oder der Vermögensbesitzer. Deshalb ist es nicht überraschend, dass Vermögensteuern abgesehen von Grundsteuern international auf dem Rückzug sind. Ihre Bedeutung war zwar nie sonderlich groß. Trotzdem machten diese Steuern 1965 noch rund 4 Prozent des gesamten Steueraufkommens aus. Im Jahr 2014 lag ihr Anteil nur noch bei gut 2 Prozent. Das Grundsteueraufkommen hat sich stabiler entwickelt, ist allerdings ebenfalls langsamer gestiegen als die Steuereinnahmen insgesamt.

Wie sind die Aufkommensrückgänge aus entfallenden Zöllen und Vermögensteuern aufgefangen worden? Wachsende Bedeutung haben vor allem Steuern und Abgaben auf international weniger mobile Steuerbemessungsgrundlagen. Das ist zum einen der Konsum – die Mehrwertsteuer hat in fast allen OECD-Staaten, in denen sie existiert, in den letzten Jahrzehnten deutlich an Gewicht gewonnen. Zum anderen hat die Abgabenbelastung von Arbeitseinkommen zugenommen. Der größte Zuwachs findet sich im Bereich der Sozialversicherungsbeiträge. Ihr Anteil an den staatlichen Einnahmen lag 1965 im OECD-Durchschnitt bei 18 Prozent, heute beträgt er 26 Prozent.

Die steigende Belastung ist in erster Linie die Folge der Expansion des Sozialstaates. Sozialversicherungsbeiträgen steht anders als sonstigen Steuern in der Regel eine zurechenbare Leistung in Form von Rentenzahlungen oder Gesundheitsversorgung gegenüber. Trotzdem versuchen viele Beschäftigte, der Beitragszahlung auszuweichen. Das ist aber nicht einfach. Trotz wachsender Mobilität kommt Abwanderung ins Ausland für die meisten Arbeitnehmer nicht infrage. Das hat den Anstieg der Belastung sicherlich gefördert.

Im Mittelpunkt der Debatte über Steuerpolitik und Globalisierung steht die Unternehmensbesteuerung. Staaten konkurrieren immer stärker um mobile Investitionen. Für die Standortwahl sind Steuern zwar nur ein Faktor unter anderen. Politische Stabilität, ein verlässliches Rechtssystem, das Bildungsniveau der Bevölkerung, die geographische Lage eines Landes, die Größe des Absatzmarktes sind von fundamentaler Bedeutung. All diese Faktoren können Regierungen, die Investoren ins Land holen wollen, jedoch entweder gar nicht oder nur sehr langfristig verändern. Steuern hingegen schon. Deshalb sind Steuern im internationalen Standortwettbewerb ein wichtiges Instrument.

In den letzten Jahrzehnten sind die Steuersätze auf Unternehmensgewinne immer mehr gesenkt worden. Sie lagen 1983 im OECD-Durchschnitt noch bei 46 Prozent und sind bis 2016 auf 25 Prozent gefallen. Deutschland konnte sich dem Trend zu niedrigen Sätzen nicht entziehen und hat die Belastung im gleichen Zeitraum von knapp 63 auf rund 31 Prozent gesenkt.

Interessant ist, dass die sinkenden Steuersätze auf Unternehmensgewinne nicht mit einem sinkenden Steueraufkommen einhergehen. Der Anteil der Gewinnsteuern am gesamten Steueraufkommen lag in den sechziger Jahren OECD-weit bei gut 8 Prozent, heute hat er ein ähnliches Niveau. Das hat verschiedene Gründe. Vor allem haben viele Staaten zwar die Steuersätze gesenkt, gleichzeitig wurde zur Gegenfinanzierung aber die Bemessungsgrundlage verbreitert – Abschreibungsmöglichkeiten wurden verringert, die Verlustverrechnung wurde eingeschränkt. Was die Attraktivität eines Investitionsstandorts angeht, ist nichts gewonnen, wenn Vorteile eines niedrigen Steuersatzes durch eine breitere Bemessungsgrundlage neutralisiert werden. Der niedrigere Steuersatz hilft allerdings bei einer anderen Form von Steuerwettbewerb: Unternehmen haben Anreize, zum Beispiel durch die Gestaltung ihrer Finanzierungsstrukturen ihre Gewinne in Ländern mit niedrigen Steuersätzen auszuweisen.

Ein niedriger Steuersatz ist deshalb im Wettbewerb um steuerliche Bemessungsgrundlagen ein Vorteil. Weitere Gründe für das stabile Steueraufkommen liegen in steigenden Unternehmensgewinnen und der Verlagerung von Einkommen aus dem Bereich der persönlichen Einkommensteuer in die Unternehmensbesteuerung, um die gesunkenen Steuersätze zu nutzen.

Es gibt einen weiteren Faktor, der die Unternehmensbesteuerung stabilisiert. Regierungen wollen zwar Investitionen und Arbeitsplätze ins Land holen. Gleichzeitig möchten sie aber einen möglichst großen Anteil der globalen Gewinne multinationaler Unternehmen im eigenen Land besteuern. Viele Länder werden künftig versuchen, vor allem die Unternehmen stärker zu besteuern, die im Inland zwar Kunden, aber wenig Produktionsanlagen oder Beschäftigte haben. In diesen Fällen muss das betreffende Land keine Sorge haben, durch höhere Besteuerung Investitionen und Arbeitsplätze zu verlieren. Die EU versucht derzeit beispielsweise, Unternehmen der digitalen Wirtschaft zu zwingen, in Europa höhere Steuern zu entrichten.

Apple beispielsweise soll in Irland 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen. Die Europäische Kommission behauptet, Irland habe Apple Steuervorteile geboten, die den Wettbewerb im Europäischen Binnenmarkt verzerren. Tatsächlich geht es wohl weniger um die Verteidigung des Wettbewerbs als darum, Steuern einzutreiben und die US-Vorherrschaft in der digitalen Wirtschaft anzugreifen. Das US-Finanzministerium hat darauf mit der Drohung reagiert, europäische Unternehmen in den USA höher zu besteuern. Konkurrenz unter Staaten kann also die Besteuerung auch in die Höhe treiben. Viele international tätige Unternehmen befürchten, dass es durch den steuerlichen Zugriff verschiedener Länder auf ihre Erträge zu Doppelbesteuerung kommen kann.

All dies bedeutet, dass die Globalisierung die Unternehmensbesteuerung zwar einem zunehmenden Wettbewerb aussetzt. Aber es gibt Faktoren, die der Erosion der Unternehmensbesteuerung entgegenwirken.
Oft wird gefordert, als Antwort auf die Globalisierung der Wirtschaft auch die Besteuerung zu globalisieren, also steuerpolitische Entscheidungen auf die internationale Ebene zu verlagern. Das scheitert aber häufig an divergierenden Interessen der beteiligten Länder. Ein Beispiel ist die Forderung, einen Mindeststeuersatz auf Unternehmensgewinne einzuführen. Vor allem Staaten, die durch eine geographische Randlage oder einen niedrigeren Entwicklungsstand benachteiligt sind, brauchen die Steuerpolitik als Instrument der Wirtschaftspolitik. Mit einem Mindeststeuersatz für Unternehmensgewinne wären ihre Chancen deutlich schlechter, gegenüber Ländern wie Deutschland im Standortwettbewerb zu bestehen.

Konflikte gibt es auch bei den Bemühungen, die Steuervermeidung durch multinationale Unternehmen zurückzudrängen. Zwar hat man sich im Rahmen der OECD-Initiative zu „Base Erosion und Profit Shifting“ geeinigt, dass Unternehmen künftig besteuert werden sollen, wo ihre Wertschöpfung angesiedelt ist. Aber das ist eine typische Kompromissformel. Darüber, wie diese Vorgabe umgesetzt werden soll, besteht keine Einigkeit.
Was folgt daraus für die deutsche Steuerpolitik? Forderungen nach mehr Umverteilung durch Nettovermögensteuern oder höhere Unternehmenssteuern stehen vor dem Problem, dass diese Art Steuerpolitik in einer offenen Volkswirtschaft wie Deutschland selbstschädigend ist. Sie treibt Kapital und Vermögende ins Ausland. Unter den vermögensbezogenen Steuern bieten lediglich Steuern auf Grund und Boden Handlungsspielräume.

Deutschland hat mit seiner exportorientierten Wirtschaft vor allem ein Interesse daran, zu verhindern, dass globale wirtschaftliche Aktivität durch Doppelbesteuerung oder die Wiedereinführung von Zöllen zurückgedrängt wird. Deutschland muss sich außerdem darauf einstellen, dass die Steuerbehörden in den Exportmärkten unserer Unternehmen einen größeren Anteil am Gewinn dieser Unternehmen besteuern wollen. Hier geht es darum, deutsche Besteuerungsrechte zu verteidigen.


Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Eine Frage der Macht“, Handelsblatt, 6. September 2016, S. 10.

ifo Standpunkt
Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2016
ifo Standpunkt Nr. 178
Das könnte Sie auch interessieren

Artikel

ifo Standpunkte