Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 177: Einkommensteuerentlastungen sind finanzierbar

Die Steuerpolitik könnte eines der großen Wahlkampfthemen im kommenden Jahr werden. Die CDU-Mittelstandsunion hat bereits gefordert, die Einkommensteuern in Deutschland zu senken. Steuerentlastungen haben in den wirtschafts- und finanzpolitischen Debatten der letzten Jahre keine große Rolle gespielt. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen stand nach der Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz der Abbau der Defizite in den öffentlichen Haushalten im Vordergrund der Aufmerksamkeit. Zum anderen hat die Verschuldungskrise in der Eurozone die Politik in den letzten Jahren in Atem gehalten.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Zwar hat es vereinzelt immer wieder Forderungen gegeben, die Einkommensteuern zu senken, durchsetzen konnten diese Forderungen sich aber nicht, wenn man von gelegentlichen Anpassungen des Grundfreibetrags absieht. Das könnte sich jetzt ändern. Nicht nur aus der CDU kommen Forderungen nach Steuerentlastungen, auch die CSU hat ein Steuersenkungskonzept vorgelegt, und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat schon im April darauf hingewiesen, dass zumindest die Auswirkungen der kalten Progression ausgeglichen werden müssten.

Diese Debatte wirft zwei Fragen auf. Erstens ist zu klären, ob Steuerentlastungen finanzierbar sind. Zweitens stellt sich die Frage: Welche Art der Einkommensteuerentlastung sollten umgesetzt werden? Was die Finanzierbarkeit angeht, gilt natürlich, dass Steuersenkungen immer finanzierbar sind, sofern die Bereitschaft besteht, öffentliche Ausgaben zu kürzen. Die Flüchtlingskrise verursacht derzeit Mehrausgaben, aber sinkende Zinsen und steigende Beschäftigung entlasten die öffentlichen Haushalte. Die Bestimmung des richtigen Niveaus an Staatsausgaben ist letztlich eine politische Entscheidung.

Wenn man zur Orientierung davon ausgeht, dass der Anteil der Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt ungefähr konstant bleiben sollte, zeigt sich, dass Finanzierungsspielräume bestehen. Die Steuereinnahmen sind in letzter Zeit kräftig gestiegen, und einiges spricht dafür, dass sich dieser Trend fortsetzen wird: Die Steuerquote, also das Verhältnis aus Steuereinnahmen und Bruttoinlandsprodukt, wird sich nach der aktuellen Steuerschätzung im Zeitraum zwischen 2014 und 2020 um 0,6 Prozentpunkte erhöhen. Die Steuerquote konstant zu halten würde bedeuten, dass eine Entlastung in Höhe von 18 Milliarden Euro möglich wäre.

Prinzipiell könnte das auch durch die Senkung anderer Steuern als der Einkommensteuer erreicht werden. Für Einkommensteuersenkungen lassen sich allerdings wichtige Argumente anführen. Das wichtigste Argument ist die kalte Progression oder „fiskalische Drift“. Sowohl die Inflation als auch das reale Wirtschaftswachstum bewirken, dass immer mehr Steuerpflichtige in Bereiche mit höheren Steuersätzen geraten. Es kommt zu „versteckten“ Steuererhöhungen.

Die Auswirkungen der fiskalischen Drift schlagen sich darin nieder, dass der Anteil der Einkommensteuer an den gesamten Steuereinnahmen zunimmt. Legt man die Zahlen der jüngsten Steuerschätzung zugrunde, dann wird das Aufkommen aus der Einkommensteuer im Zeitraum zwischen 2014 und 2020 um 35 Prozent zunehmen, während die Steuereinnahmen insgesamt nur um 26 Prozent ansteigen. Ohne eine Senkung der Einkommensteuer würde sich die Struktur der Steuereinnahmen in Richtung eines höheren Gewichts von Einkommensteuern verlagern.

Wenn sich die Politik aus diesen Gründen für Einkommensteuerentlastungen entscheidet, wie sollte diese Entlastung gestaltet werden? Eigentlich wäre ein „Tarif auf Rädern“, also eine regelmäßige, automatische Verschiebung des Steuertarifs die richtige Antwort auf das Problem der kalten Progression. Eine einmalige Entlastung kann das Problem aber zumindest vorübergehend lösen. Außerdem ist es dabei möglich, den Steuertarif und damit die Lastenverteilung unter den Steuerzahlern neu zu justieren. Wie könnte eine derartige Reform gestaltet werden?

Ein Problem der deutschen Einkommensteuer liegt darin, dass der Grenzsteuersatz zwischen dem Grundfreibetrag von derzeit bei 8 653 Euro bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 13 669 Euro recht schnell ansteigt, von 14 auf 24 Prozent. In den Einkommensbereichen darüber steigt die Steuerbelastung langsamer an. Dieser Teil des Einkommensteuertarifs wird häufig als „Mittelstandsbauch“ bezeichnet. Ob dieser Tarifverlauf als fair oder unfair anzusehen ist, ist eine Frage der politischen Bewertung. Wenn das Ziel darin besteht, die Steuerzahler mit niedrigeren Einkommen an der Steuerentlastung zu beteiligen, ist es jedoch naheliegend, diesen Mittelstandsbauch abzuflachen. Eine vollständige Beseitigung des Mittelstandsbauches würde einen Rückgang des Steueraufkommens um rund 30 Milliarden Euro mit sich bringen.

Die CDU-Mittelstandsunion hat vorgeschlagen, nicht ganz so weit zu gehen und den Steuersatz am Ende der ersten Progressionszone von 24 auf 20 Prozent zu senken. Zusätzlich soll der Einkommensbetrag, bei dem die obere Progressionszone mit einem Steuersatz von 42 Prozent (mit Solidaritätszuschlag 44,3 Prozent) erreicht wird, von derzeit 53 665 Euro auf 60 000 Euro erhöht werden. Oberhalb dieser Grenze ist der Steuersatz derzeit bis zu einem Einkommen von 254 446 Euro konstant.

Nach dem CDU-Konzept soll er künftig weiter ansteigen, bis er bei einem Einkommen von 254 446 Euro das Niveau von 45 Prozent (mit Solidaritätszuschlag knapp 47,5 Prozent) erreicht. Durch dieses Element sollen die Entlastungen für Steuerzahler mit hohen Einkommen begrenzt werden. Dieses Reformpaket würde das Steueraufkommen um knapp 24 Milliarden Euro senken. Dabei sind Verhaltensanpassungen wie etwa eine höhere Beschäftigung infolge der Steuerentlastung nicht berücksichtigt. Die tatsächlichen Steueraufkommensverluste dürften deshalb niedriger sein.

Einkommensteuerentlastungen in dieser Größenordnung wären finanzierbar. Man kann damit rechnen, dass die Steuerpolitik im nächsten Bundestagswahlkampf eine zentrale Rolle spielen wird. Gegner von Steuersenkungen werden dabei einen schweren Stand haben.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Geringere Steuern sind möglich“, Zeit Online, 15. August 2016.

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Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2016
ifo Standpunkt Nr. 177
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