Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 174: Die Flüchtlinge bringen Deutschland keine wirtschaftliche Entlastung, aber sie verdienen unsere Solidarität

Rund anderthalb Millionen Menschen sind 2015 nach Deutschland zugewandert, darunter viele aus Syrien, die vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat fliehen. Im Jahr 2016 werden voraussichtlich deutlich weniger Menschen kommen, weil andere Staaten in Europa die Grenzen geschlossen haben und die Balkanroute versperrt ist. Die deutsche Bevölkerung hat angesichts der Zuwanderungswelle eine große Bereitschaft gezeigt, Menschen zu helfen, die vor Krieg und politischer Verfolgung fliehen. Das ist beeindruckend. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach den wirtschaftlichen Konsequenzen.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Anfänglich gab es in Deutschland euphorische Stimmen, die behaupteten, die Flüchtlingswelle verspreche einen ökonomischen Gewinn, eine Entlastung, weil die Bevölkerung in Deutschland altere und Fachkräfte fehlten. Außerdem wurde argumentiert, die Ausgaben für die Versorgung der Zuwanderer seien ein willkommenes Konjunkturprogramm. Kritikern der Zuwanderung wurde entgegengehalten, Kontrollen an den deutschen Grenzen zur Eindämmung der Zuwanderung seien technisch unmöglich oder schlicht zu teuer, weil damit der grenzüberschreitende Wirtschaftsverkehr beeinträchtigt werde.

Mittlerweile hat die Debatte deutlich gemacht, dass diese Sicht der Dinge irreführend ist. Ein staatliches Konjunkturprogramm braucht Deutschland derzeit nicht, die Wirtschaft ist voll ausgelastet und der Beschäftigungsstand hoch. Natürlich wäre es besser, Kontrollen an den deutschen Grenzen zu vermeiden, aber selbstverständlich sind sie technisch umsetzbar. Die Kosten einschließlich der Behinderung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs wären nach ifo-Berechnungen lästig, aber überschaubar.

Die Hoffnung, dass diese Immigration demographiebedingte Lasten in den öffentlichen Kassen mindert, könnte sich nur dann erfüllen, wenn die Zuwanderer gut ausgebildet wären und mehr an Steuern und Abgaben zahlten, als sie an öffentlichen Leistungen in Anspruch nehmen. Zuwanderer, die keine oder unterdurchschnittliche Einkommen erzielen, sind Nettotransferempfänger. Sie belasten die öffentlichen Kassen und damit die vorhandene Bevölkerung. Dass niedrig qualifizierte Beschäftigte trotzdem durchaus sehr wertvolle Arbeit leisten, ist dabei bereits eingerechnet.

Über die beruflichen Qualifikationen der Zuwanderer gibt es nur sehr unvollständige Informationen. Die vorliegenden Erkenntnisse sprechen aber leider dafür, dass die meisten Zuwanderer eher niedrig qualifiziert sind. Vorteilhaft ist, dass viele jung sind. Allerdings weisen die Schulsysteme in Herkunftsländern wie Syrien, Irak oder Afghanistan große Mängel auf. Studien des ifo-Bildungsforschers Ludger Wößmann zeigen, dass Schüler aus Ländern wie Syrien und Afghanistan Rückstände gegenüber Schülern aus OECD-Ländern wie Deutschland aufweisen, die bis zu fünf Schuljahren entsprechen. Versäumnisse in der Schulausbildung in jungen Jahren können später nur noch begrenzt kompensiert werden. Deshalb ist das Ausbildungspotenzial leider begrenzt.

All dies ändert nichts daran, dass die Aus- und Weiterbildung der Zuwanderer, die in Deutschland bleiben werden, mit hoher Priorität vorangetrieben werden sollten. Zu den Voraussetzungen einer zügigen Integration gehört auch, dass die Unsicherheit darüber, wer in Deutschland bleiben darf, möglichst schnell ausgeräumt werden muss. Simulationsstudien des Migrationsexperten Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung kommen zu dem Ergebnis, dass jedes Jahr, um das die Integration in den Arbeitsmarkt verzögert wird, die Kosten der Zuwanderungswelle für den deutschen Staatshaushalt um rund 10 Milliarden Euro in die Höhe treibt. Wir sollten also nicht zögern. Und uns zugleich mit dem Gedanken arrangieren, dass wir finanziell ein Verlustgeschäft machen.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Was kostet…“, Leibniz – Beste Welten Magazin 02/2016, S. 64.

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Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2016
ifo Standpunkt Nr. 174
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