Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 173: Ökonomische Folgen eines Brexit

Prognosen sind ja bekanntlich schwierig. Trotzdem bin ich sicher: Ein EU-Austritt Großbritanniens, der sogenannte Brexit, wäre sowohl für die Briten als auch für den Rest der Europäischen Union ein schlechtes Geschäft.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Schauen wir uns die Ausgangslage an: Die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs ist traditionell auf Offenheit und internationalen Handel ausgerichtet, die Beziehungen zur EU haben hohes Gewicht. Die Hälfte der Exporte geht in andere EU-Länder – vor dem EU-Beitritt Großbritanniens waren es nur 40 Prozent. Von besonderer Bedeutung ist der Finanzsektor, sein Anteil an der Wertschöpfung beträgt derzeit rund 8 Prozent. Im Bereich der Finanzdienstleistungen erzielte Großbritannien zuletzt einen Außenhandelsüberschuss von 90 Milliarden Pfund, das sind 5 Prozent des britischen BIP. Von diesem Überschuss entfällt ein Drittel auf EU-Staaten.

Auch bei den Investitionen ist das Land eng mit den europäischen Partnern verflochten. 46 Prozent des Bestandes der ausländischen Direktinvestitionen im Vereinigten Königreich kommen aus der EU, umgekehrt halten britische Investoren 43 Prozent der Direktinvestitionen in anderen EU-Staaten.

Wenn sich die britischen Wähler am 23. Juni für den EU-Austritt entscheiden, werden zunächst mehrjährige Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zur EU folgen. Für die Wirtschaft eine Phase der Unsicherheit: Investoren und Konsumenten würden Ausgaben zurückstellen, bis geklärt ist, wie es weitergeht.

Und wenn der Austritt vollzogen ist? Dann drohen der britischen Wirtschaft erhebliche Turbulenzen. Einige optimistische Studien erwarten zwar, dass Großbritannien den Zugang zum Binnenmarkt behält, London das führende Finanzzentrum in Europa bleibt und das Land durch weniger Regulierung gegenüber dem Rest der EU an Wettbewerbsfähigkeit gewinnt. Positiv für das Vereinigte Königreich wäre ferner, dass der Nettobeitrag zum EU-Haushalt in Höhe von 0,5 Prozent des BIP entfällt. Für diese optimistischen Szenarien werden Gewinne von bis zu 4,5 Prozent des BIP berechnet.

Diese Vorstellungen dürften allerdings unrealistisch sein. Dass der wirtschaftliche Austausch mit der EU beeinträchtigt wird, ist kaum zu vermeiden. Denn ein voller Zugang zum Binnenmarkt würde voraussetzen, dass Großbritannien auch relevante europäische Regulierungen übernimmt – und diese loszuwerden, ist ja gerade ein wichtiger Grund für den Brexit.

Der wegfallende Handel könnte vielmehr nach aktuellen Berechnungen des ifo Instituts die britische Wirtschaftsleistung um bis zu 3 Prozent reduzieren. Hinzu kommt, dass mit dem schrumpfenden Handel auch die wirtschaftliche Dynamik insgesamt leidet, die Unternehmen also weniger investieren und Innovationen ausbleiben. Wenn man das berücksichtigt, könnten die Verluste bis zu 14 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Eine Studie der London School of Economics hält gar Verluste von bis zu 20 Prozent für denkbar.

Auch in der EU würde der sinkende wirtschaftliche Austausch zu Wachstumsverlusten führen. Dies gilt insbesondere für Länder wie die Niederlande und Luxemburg, die durch die Finanzindustrie eng mit dem Vereinigten Königreich verbunden sind. Auch in Deutschland wären Verluste zu erwarten – nach ifo-Berechnungen bis zu 3 Prozent des BIP.

Was zudem in der Brexit-Frage noch zu wenig diskutiert wird, sind mögliche Verwerfungen an den Devisenmärkten. Das britische Pfund hat im Vorfeld des Referendums bereits an Wert verloren; die Abwertung würde sich bei einem EU-Austritt wohl beschleunigen. Einige Banken prognostizieren eine Kapitalflucht und einen regelrechten Absturz der britischen Währung auf unter einen Euro. Die britische Notenbank müsste mit Zinserhöhungen dagegenhalten. Das wiederum würde den Häusermarkt in Schieflage bringen – viele Haushalte haben hohe Hypotheken aufgenommen, bei denen die Zinsen jährlich angepasst werden.

Könnte dadurch auch das Vertrauen der Märkte in den Euro leiden? Verabschieden sich die Briten, liegt die Frage nahe, ob weitere Länder die EU (oder den Euroraum) verlassen wollen. Derzeit hat zwar kein EU-Staat Austrittsabsichten geäußert. Doch ist zu erwarten, dass angesichts der latenten Unsicherheit der Euro gegenüber der traditionellen Krisenwährung US-Dollar abwertet.

All dies zeigt: Eine Entscheidung für einen Brexit wäre ökonomisch irrational – aber in einem Referendum ist nicht garantiert, dass wirtschaftliche Vernunft den Sieg davonträgt.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Der Brexit ist ökonomisch irrational“, WirtschaftsWoche, 27. Mai 2016, S. 38.

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Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2016
ifo Standpunkt Nr. 173
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