Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 172: Sparen auf Vorrat – ein „Testament“ für Staaten

Ein Vorschlag aus dem Bundesfinanzministerium hat die Verhandlungen zwischen Griechenland, EU-Kommission und IWF entscheidend vorangebracht. Die Parteien waren sich uneinig, wie groß das Sparpaket sein muss, damit Griechenland die von der Troika gesteckten Haushaltsziele erreicht. Schwer kalkulierbar sind dabei nicht nur die Kosten der Flüchtlingskrise. Auch sonst sind die künftigen Einnahmen und Ausgaben des Krisenlandes schwer prognostizierbar. Aus Berlin kam nun der Vorschlag, Griechenland könne Sparmaßnahmen auf Vorrat beschließen, die nur dann in Kraft treten, wenn die Ausgaben des griechischen Staates höher ausfallen als angenommen.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

So unscheinbar diese Idee zunächst daherkommt – wir denken, dass sie das Potenzial hat, jenseits des Sonderfalls Griechenland eine wichtige Rolle im Krisenmanagement der Eurozone zu spielen. Die Mitgliedstaaten könnten sich verpflichten, zusätzlich zu den jährlichen Haushaltsbeschlüssen einen Krisenhaushalt zu verabschieden, der beispielsweise 90 Prozent der Ausgaben umfasst und eventuell Maßnahmen zur Steigerung der Einnahmen vorsieht.

Tritt plötzlich eine Krise ein, so kann die Regierung ohne weitere Parlamentsbeteiligung auf diese Notbeschlüsse zugreifen und die Ausgaben kürzen. Als Vorbild dienen dabei die Notfallpläne, die von Banken eingereicht werden müssen. Gerät eine Bank in die Krise, beschreibt ein solches „Testament“ die reibungslose Abwicklung des Geldinstituts. Staaten werden zwar nicht abgewickelt, aber sie müssen saniert werden.

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, vor allem in den Krisenstaaten in Südeuropa, warum ein Testament für Staaten attraktiv sein kann. Dem wirtschaftlichen Kollaps folgte nicht selten eine politische Krise, die zunächst zu parlamentarischer Blockade und dann zu Neuwahlen führte. Griechenland wechselte den Ministerpräsidenten seit Ausbruch der Krise fünf Mal, Italien drei Mal, in Spanien herrscht nach der Wahl im letzten Herbst ein Patt. Häufig scheitern Regierungen daran, unter Zeit- und Leidensdruck Sanierungsmaßnahmen und Reformen durchzusetzen. In Zeiten, in denen eine starke, handlungsfähige Regierung am nötigsten gebraucht wird, fehlt sie dann.

Dies spiegelt wider, wie schwer sich Demokratien tun, im Krisenfall die Anpassungslasten so zu verteilen, dass eine Mehrheit dies als fair beurteilt. Wenn Staatsausgaben gekürzt werden, leiden Renten- und Transferempfänger, subventionierte Branchen sowie Beamte und Staatsangestellte. Jede Gruppe hat großen Anreiz, alles zu mobilisieren, um von den Kürzungen verschont zu bleiben und anderen die Last aufzubürden.

Ähnlich verhält es sich mit Steuerhöhungen. Im Ergebnis versagt das politische System, und das Land wird entscheidungsunfähig. Die Krise verschärft sich. Vorratsbeschlüsse verhindern nicht, dass es Proteste und Widerstand gegen die Kürzungen oder Mehrbelastungen gibt. Sie verhindern nur, dass die Proteste der Regierung die Möglichkeit nehmen, ihre Politik an die Krise anzupassen.

Das hat ein wenig den Geruch von Notstandsgesetzen, doch auch wenn das Parlament im Krisenfall nicht mehr befragt werden muss, hebeln Vorratsbeschlüsse nicht die Demokratie aus. Sie werden vom Parlament getroffen, und das Parlament sollte jederzeit die Möglichkeit haben, konstruktive Änderungen einzubringen. Das heißt, wenn sich das Parlament auf alternative Sparmaßnahmen einigen kann, sollten diese Beschlüsse Vorrang haben. Nur Blockade sollte nicht mehr möglich sein.

Vorratsbeschlüsse bewahren die Handlungsfähigkeit der Regierung in Krisenzeiten und tragen dazu bei, dass sich die Krise nicht unnötig verschärft. Sie führen den Wählern in normalen Zeiten außerdem vor Augen, was auf dem Spiel steht, und erhöhen damit den Druck auf die Regierung, eine Krise gar nicht erst entstehen zu lassen. Entscheidend ist natürlich, wie der Krisenzustand definiert wird – man könnte ihn in der Eurozone an ein ESM-Programm binden.

Vorratsbeschlüsse verhindern nicht, dass Regierungen gewählt werden können, die Vereinbarungen mit der Euro-Gruppe und dem IWF aufkündigen oder hintertreiben wollen. In der Vereinbarung zwischen der Troika und Griechenland haben die Vorratsbeschlüsse deshalb noch eine andere Funktion: Sie sollen Griechenland die Möglichkeit der Nachverhandlung nehmen – oder diese zumindest erschweren.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Johannes Becker
Direktor des Instituts für Finanzwissenschaften in Münster

Erschienen unter dem Titel „Krisenhaushalt auf Vorrat“, Handelsblatt, 3. Mai 2016, S. 48. 

ifo Standpunkt
Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2016
ifo Standpunkt Nr. 172
Das könnte Sie auch interessieren

Artikel

ifo Standpunkte