Gastbeitrag

Die Politik gerät an ihre Grenzen

Clemens Fuest sieht in der aktuellen Debatte über die Staatsfinanzen auch eine Chance – dass wir endlich eine breite politische Strategie entwickeln, um die demografiebedingten Herausforderungen für unseren Sozialstaat zu meistern.


Quelle:
Wirtschaftswoche

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Einhaltung der Schuldenbremse hat eine kontroverse Debatte losgetreten, wie sich die Neuverschuldung im Bundeshaushalt begrenzen lässt. Besonders umstritten ist die Frage, ob Sozialausgaben gekürzt werden sollten, die immerhin die Hälfte der Staatsausgaben ausmachen. Da Ausgabenblöcke wie Zinsen, Verteidigung und öffentliche Investitionen entweder nicht veränderbar sind oder hohe Priorität genießen, muss allen Beteiligten klar sein: Staatsausgaben einzudämmen, ohne Sozialausgaben anzutasten, ist ein schwieriges Unterfangen. Im Jahr 2000 lag der Anteil der Sozialausgaben an den Staatsausgaben bei 52 Prozent. 2019, vor den aktuellen Krisen, war er auf 54 Prozent gestiegen, 2023 werden es voraussichtlich 51,5 Prozent sein. Die Quote ist also vergleichsweise stabil. Der jüngste Rückgang ergibt sich jedoch vor allem aus dem Anstieg anderer Staatsausgaben. Und die Stabilität erscheint auch in anderem Licht, wenn man berücksichtigt, dass die Zahl der Arbeitslosen im Jahr 2000 mit rund vier Millionen deutlich höher war als heute. Die daraus resultierende Entlastung bei den Sozialausgaben hat die Politik durch höhere Ausgaben für Renten und das Gesundheitswesen kompensiert.

Diese Strukturverschiebung ist angesichts der Alterung der Bevölkerung nicht überraschend. Sie zeigt allerdings, dass in den kommenden Jahren, in denen die Babyboomer in Rente gehen, der Druck zunehmen wird, Ausgaben für Gesundheit und Altersversorgung auszudehnen. Das legt den Schluss nahe, dass es bei den Sozialausgaben nun eher darum geht, den weiteren Anstieg zu begrenzen, als sie abzusenken. Und umso wichtiger ist die Frage, welche Maßnahmen und Reformen dazu geeignet sind. Obwohl die demografisch bedingten Lasten vor allem für die Rentenkasse seit Langem bekannt sind, hat sich die Politik in den vergangenen Jahren für eine Vogel-Strauß-Politik entschieden und die „doppelte Haltelinie“ ausgerufen: Bis 2025 sollen weder die Beitragssätze steigen, noch soll sich der Anstieg der Renten verlangsamen. Das kann nur bedeuten, dass die Lücken in der Rentenkasse durch einen wachsenden Zuschuss aus dem Bundeshaushalt gestopft werden. Dieser Zuschuss verschlingt bereits jetzt ein Viertel des Budgets.

Angesichts der Haushaltskrise stößt diese Rentenpolitik nun an ihre Grenzen. Welche Reformoptionen bestehen? Möglich wäre, durch eine veränderte Rentenformel den Anstieg der Renten zu verlangsamen. Doch dafür bei einer wachsenden Zahl von aktuellen oder baldigen Rentenempfängern politische Mehrheiten zu organisieren, ist herausfordernd.

Eine Alternative wäre, die Rentenkasse durch eine weitere Erhöhung des Rentenzugangsalters zu entlasten. Politökonomisch ist hier zu erwarten, dass jene, die kurz vor der Verrentung stehen, Einwände erheben. Die große Zahl derjenigen, die bereits in Rente sind, dürfte hingegen ein höheres Verrentungsalter unterstützen. Denn sie sind davon selbst nicht betroffen, ihre Rente wird aber sicherer, da der politische Druck sinkt, die Höhe der Altersbezüge anzutasten.

Mehr Arbeitsanreize nötig

Weniger stützend für die Rentenkasse wäre die oft geforderte Erweiterung der Rentenversicherungspflicht auf Selbstständige oder Beamte. Diese würden zwar zunächst Beiträge entrichten, hätten dann aber auch Rentenansprüche. Diese Ansprüche geringer zu halten als die Beiträge, dürfte politisch und rechtlich schwierig sein. Auch die Option, die Rentenversicherungsbeiträge weiter zu erhöhen, hat ihre Grenzen: Eine solche Politik fördert die Flucht aus der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und reduziert den Anreiz, überhaupt zu arbeiten.

Bezieht man die steigenden Ausgaben für Gesundheit und Pflege ein, so wird deutlich: Eine Begrenzung der Sozialleistungen in Deutschland ist unvermeidlich. Das allein aber reicht nicht aus. Wir brauchen eine umfassende Strategie, die Finanzierungsgrundlagen des Sozialstaats zu stärken. Das erfordert vor allem bessere Anreize, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen, sowie eine höhere Arbeitsproduktivität. Wir brauchen eine bessere Abstimmung von Sozialleistungen in den niedrigeren Einkommensbereichen, damit es sich lohnt, Vollzeit statt Teilzeit zu arbeiten. Im Gesundheitswesen liegt der Schlüssel zum Erfolg in der Digitalisierung und Konsolidierung der Krankenhäuser.

Insofern bietet die aktuelle Debatte über die Staatsfinanzen auch eine Chance – dass wir endlich eine breite politische Strategie entwickeln, um die demografiebedingten Herausforderungen für unseren Sozialstaat zu meistern.

Clemens Fuest ist seit 2016 Präsident des ifo Instituts in München.

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Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest

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