Gastbeitrag

Wohlstand mit Energiepolitik

Roland Berger, Clemens Fuest, Hans-Werner Sinn, Christoph Teis und Peter-Alexander Wacker fordern eine Veränderungsbereitschaft und eine pragmatische, realistische und vorausschauende Energiepolitik ohne ideologische Grabenkämpfe, um den Wohlstand in Deutschland und Europa aufrecht erhalten zu können.


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Deutschland und Europa befinden sich derzeit in einer Energiekrise, in der steigende Preise vor allem für Gas und Strom private Haushalte und Unternehmen erheblich belasten. Kurzfristig geht es darum, eine Gasmangellage zu vermeiden. Für die mittel- bis langfristige Entwicklung des Wohlstands ist entscheidend, dass die Energieversorgung für private Haushalte gesichert und Deutschland als Standort für Industrie mit gut bezahlten Arbeitsplätzen erhalten wird. Das muss mit den Klimaschutzzielen in Einklang gebracht werden. Die CO2-Emissionen sind gegenüber 1990 um 40 Prozent gefallen, bis 2045 sollen sie um 100 Prozent sinken. Gleichzeitig wird die Stromproduktion auf ein Vielfaches des heutigen Wertes steigen müssen, weil der Verkehr, die Heizung der Häuser und industrielle Prozesse elektrifiziert werden sollen. Das verdeutlicht die gewaltige Dimension der geplanten Transformation. Nach Szenarien wird der Stromverbrauch auch bei steigender Energieeffizienz in Deutschland schon bis 2030 um rund 25 Prozent zunehmen. Im Jahr 2021 kamen noch rund 40 Prozent der Stromversorgung aus Kernkraft und Kohle. Die letzten Kernkraftwerke sollen schon im kommenden April abgeschaltet werden, die Kohlekraftwerke bis 2030. Falls das so umgesetzt wird, muss der Bedarf an regelbaren Energien in den kommenden Jahren primär durch den massiven Ausbau von Gaskraftwerken gedeckt werden.

Eine funktionierende Gasversorgung ist unerlässlich für den Ausbau des Wind- und Sonnenstroms, wenn Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke zurückgedrängt werden sollen. Denn grüner Strom verlangt wegen seiner hohen saisonalen Volatilität eine komplementäre, gegenläufige Variation einer anderen, regelbaren Stromquelle. In den Dunkelflauten wird sogar im vollen Umfang der Stromnachfrage eine regelbare Ersatzkapazität benötigt. Der Koalitionsvertrag der Ampel kündigt den Ausbau von Gaskraftwerken und die Schaffung einer Wasserstoff-Elektrolysekapazität von 10 Gigawatt bis 2030 an. Belastbare öffentliche Planungen dazu fehlen jedoch. Für private Investoren sind Gaskraftwerke, die auf Wasserstoff umrüstbar sind, derzeit kein tragfähiges Geschäftsmodell. Zudem wird auf absehbare Zeit weit weniger Gas aus Russland nach Europa fließen. Das stellt den bisherigen Plan für den Übergang zu einem klimaneutralen Energiesystem infrage.

Die Gasverknappung hat weitreichende ökonomische Folgen. Für private Haushalte steigen die Kosten für Strom und Heizung. Deutschland und Europa verlieren als Industriestandort an Wettbewerbsfähigkeit. Vor der Krise lag der Gaspreis in Asien über dem europäischen Niveau, in den USA kostete Gas etwa halb so viel wie in Europa. Szenarienrechnungen kommen zu dem Ergebnis, dass sich die europäischen Gaspreise beim Dreifachen der amerikanischen Preise einpendeln könnten. In China dürfte der Preis durch vermehrte russische Lieferungen sinken. Europa verliert also an Wettbewerbsfähigkeit. Ähnlich ist die Entwicklung beim Strompreis.

Gelegentlich wird gefordert, Nachteile bei den Energiepreisen mit Subventionen auszugleichen, auch um ein Gegengewicht gegen die Subventionierung von Industrieansiedlungen in den USA zu setzen. Subventionsprogramme bergen aber stets die Gefahr, überkommene Strukturen zu erhalten. Das gilt es zu vermeiden.

Was ist zu tun? Das Ziel der deutschen Energiepolitik besteht darin, möglichst schnell zu einer Energieversorgung zu kommen, die auf erneuerbaren Energien, grünem Wasserstoff und synthetischen Energieträgern basiert. Wir unterstützen den zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien ausdrücklich, erwarten aber mehr Realismus. Nach der heute abschätzbaren Technikentwicklung wird es lange, eventuell Jahrzehnte, dauern, bis derartige Energiesysteme voll funktionsfähig sind. Deshalb ist es erforderlich, die Zeit dieser Transformation zu überbrücken.

Die Energiepolitik der kommenden Jahre sollte folgende Punkte beinhalten:

  1. Angesichts der Unsicherheit über die weitere Entwicklung ist es wichtig, die Stromversorgung breit aufzustellen und nicht leichtfertig Optionen aus der Hand zu geben. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist zu beschleunigen, ebenso wie der Bau von Gaskraftwerken. Kernkraftwerke sollten erst abgeschaltet werden, wenn erprobte leistungsfähige Anlagen zur Verfügung stehen, die tatsächlich ohne den Einsatz einer komplementären CO2-lastigen Regelenergie auskommen. Deutschland sollte die Kooperation mit vertrauenswürdigen Partnerländern vertiefen.
  2. Der Strommarkt sollte umfassend geöffnet und flexibilisiert werden. Derzeit verhindern Regulierungen und Wettbewerbsbeschränkungen die notwendige breite Einbindung dezentraler Erzeuger in das Energiesystem. Ein Beispiel ist die Nutzung bidirektionalen Ladens bei Elektrofahrzeugen. Das Ziel sollte darin bestehen, im Energiesystem eine Plattformökonomie zu entwickeln.
  3. Auf absehbare Zeit bleibt eine sichere und preislich wettbewerbsfähige Gasversorgung unentbehrlich. Ein Weg dahin wäre der Ausbau der Gasförderung in Deutschland und Europa durch Fracking. Hier haben technische Entwicklungen zu umweltfreundlicheren Verfahren geführt.
  4. Darüber hinaus sollten Gaspipelines in der EU und zu wichtigen Gaslieferländern in der Nachbarschaft der EU ausgebaut werden. Gas, das über Röhren transportiert wird, bleibt grundsätzlich die ökologischere und preisgünstigere Alternative zum Flüssiggas.
  5. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren sind in Deutschland viel zu langsam. Das gilt sowohl für grüne Energien als auch für die komplementäre Gasenergie. So ist es kaum möglich, bis 2030 die ambitionierten Ausbauziele für erneuerbare Energien zu erreichen. Der Ausbau des Stromnetzes in Deutschland muss ebenfalls dringend beschleunigt werden. Auch Fracking könnte nur dann eine rasche Entlastung bieten, wenn die Genehmigungs- und Prüfdauern stark reduziert würden. Die Politik hat hier schon Veränderungen eingeleitet, aber mehr Anstrengungen sind erforderlich.
  6. Die Weiterentwicklung der Energieversorgung erfordert Anstrengungen in Forschung und Entwicklung. Staatliche Förderung sollte Schwerpunkte in den Bereichen der erneuerbaren Energien, der Energieeffizienz, intelligenter Stromnetze und Speichertechnologien der Wasserstoffwirtschaft setzen, aber andere Gebiete wie insbesondere die Fusionsforschung und die Forschung an anderen Reaktoren nicht vernachlässigen.

Derzeit ist die energiepolitische Debatte in Deutschland geprägt von einer irrationalen Konfrontation zwischen Befürwortern konventioneller und erneuerbarer Energien, die Lösungen im Weg steht. Die Wahrung des Wohlstands erfordert Veränderungsbereitschaft und eine pragmatische, realistische und vorausschauende Energiepolitik, die ideologische Grabenkämpfe hinter sich lässt.

Roland Berger ist Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung (Freunde des Ifo-Instituts) und Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates der Roland Berger Strategy Consultants.

Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts.

Hans-Werner Sinn war Präsident des Ifo-Instituts.

Christoph Theis ist Mitgründer und Geschäftsführer der Technologie-Beratungsgesellschaft P3.

Peter-Alexander Wacker ist Vorsitzender des Verwaltungsrates des Ifo-Instituts und Aufsichtsratschef der Wacker Chemie AG.
 

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Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest

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