Gastbeitrag

Keine Last für niemand?

Die Krise hat Deutschland ärmer gemacht. Kai A. Konrad und Marcel Thum fordern ein ehrliches Eingeständnis der Politik, damit das dritte Entlastungspaket der Regierung denjenigen zugutekommen kann, die die staatliche Hilfe am dringendsten benötigen.


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Nun also kommt mit dem dritten Entlastungspaket der „Doppelwumms“. Die Regierung eilt allen Bürgern großzügig zu Hilfe, rettet und beschirmt sie, so jedenfalls das Narrativ. Dabei könnte dieses Bild falscher kaum sein. Die Regierung sitzt nicht wie Dagobert Duck auf einem großen Schatz, den sie nach Gutsherrenart verwaltet. Sie greift nicht in die eigene Tasche, um ihren Bürgern Gutes zu tun. Vielmehr muss der Staat den Bürgern jeden Euro wegnehmen, den er ihnen zur „Entlastung“ gibt. Dass alle Bürger sich „entlasten“, indem sie auf dem Umweg über die Staatskasse Geld an sich selbst zahlen, erinnert an die tolldreiste Geschichte des Barons von Münchhausen, der behauptete, dass er sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen könne.

Breite Entlastungen für alle entlasten niemanden. Sie belasten stattdessen alle. Die meisten Haushalte, für die die Bundesregierung in den kommenden Monaten die Abschlagszahlung übernimmt und einen Teil des Gaskonsums subventioniert, sind zugleich Steuerzahler. Als solche werden sie die Mittel für diese Maßnahmen selbst aufbringen müssen.

Jeder Euro, den der Staat ausgibt, kostet die Gesellschaft am Ende deutlich mehr als nur einen Euro. Je nach Art der gewählten Steuer können es, so schätzen Steuerfachleute, auch schon mal mehr als eineinhalb Euro sein. Denn die Steuererhebung verursacht dem Staat Verwaltungskosten. Sie verursacht den Bürgern Kosten bei der Steuererklärung. Und sie führt nicht zuletzt zu Kosten, weil die Menschen versuchen, zusätzlichen Steuern auszuweichen, indem sie weniger arbeiten, in die Schattenwirtschaft abwandern oder ihr Vermögen ins Ausland in Sicherheit bringen. Daher stellen solch breit angelegte Entlastungsprogramme breite Teile der Bevölkerung am Ende schlechter.

Hinzu kommt, dass erhebliche Mittel der Rettungsmaßnahmen gar nicht den Bürgern in Deutschland zufließen. Die Rettung eines in ausländischem Besitz befindlichen Unternehmens wie Uniper ist ein Beispiel, an dem sich die Problematik illustrieren lässt. Natürlich ist die technische und wirtschaftliche Funktion, die Uniper im deutschen Gasmarkt wahrnimmt, unverzichtbar. Kapitalgeber, die mit der Hoffnung auf Gewinne ihr Geld in das Unternehmen gesteckt hatten, verdienen aber nicht den gleichen Schutz wie hilfebedürftige Bürger. Es gehört zum unternehmerischen Risiko, dass investierte Mittel manchmal verloren sind.

Als die Gaspreise am Spotmarkt stiegen, konnte Uniper seine Verpflichtungen nicht mehr erfüllen. Die Aktien sollten in so einem Fall eigentlich nichts mehr wert sein. Dennoch sollen Unipers Altaktionäre von der Bundesregierung 1,70 Euro je Aktie bekommen. Ähnliches gilt für den abgelösten Großkredit der Mutterfirma an die deutsche Uniper; auch diesen hätte die ausländische Muttergesellschaft im Fall einer Insolvenz abschreiben müssen. Ist der deutsche Steuerzahler die richtige Adresse, um solche unternehmerischen Verluste abzufedern?

Besonders problematisch sind Eingriffe in die Preisstruktur wie die Subvention des Gas- und Strompreises, aber auch die Senkung der Umsatzsteuer auf einzelne Güter. Hier entstehen Gewöhnungseffekte. Die Politik wird sich sehr schwertun, aus den subventionierten Preisen wieder herauszukommen. Auch wenn Deutschland kein Schwellenland ist, sollten die Erfahrungen aus vielen Schwellenländern ein warnendes Beispiel sein. Dort bringen selbst kleinste Reduktionen der Subvention von Öl, Gas oder auf Grundnahrungsmittel die Massen zu Protesten auf die Straße. Was sich relativ leicht einführen lässt, lässt sich leider nicht ebenso leicht wieder abschaffen.

Die Schwierigkeiten hielten sich vielleicht noch in Grenzen, wenn die Gas- und Strompreise demnächst wieder fallen würden. Aber anders als einige in der Politik glauben mögen, wird es mit einem kurzfristigen „Untertunneln“ der Gas- und Strompreise wohl nicht getan sein. Die Futures-Märkte zeigen, dass der Gaspreis auch in einigen Jahren noch ein Vielfaches des Vorkrisenniveaus betragen wird.

Ehrliche Politik sollte klar sagen, dass die Krise Deutschland ärmer gemacht hat. Wenn die Energierechnung höher ausfällt, haben wir alle gemeinsam weniger für andere Dinge zur Verfügung. Vielleicht gehen für die meisten von uns durch die Krise 10 Prozent unseres realen Einkommens verloren. Das klingt dramatisch. Aber in den vergangenen 20 Jahren hat das real verfügbare Einkommen eines typischen Haushalts (Median) in Deutschland um gut 20 Prozent zugelegt. Vielleicht wirft diese Krise die meisten von uns im Wohlstand auf das Niveau von vor zehn Jahren zurück – äußerst ärgerlich, aber auch damals konnten die meisten ordentlich leben.

Mit einem ehrlichen Eingeständnis der kollektiven Einkommenseinbuße könnte die Politik ihre Hilfen auf diejenigen konzentrieren, die nahe am Existenzminimum leben, deren Existenzgrundlage durch die Krise verloren geht und die staatliche Hilfe wirklich benötigen.