Gastbeitrag

Ein Schirm darf nicht zur Gießkanne werden

Clemens Fuest schreibt über die Vor- und Nachteile verschiedener Maßnahmen, die die Politik gegen die sprunghaft gestiegenen Energiepreise und zur Entlastung der Haushalte und Unternehmen ergreifen könnte. Er betont dabei, dass der Staat lediglich die Lasten umverteilen kann und nur dort eingreifen sollte, wo diese extrem hoch ausfallen oder nur schlecht getragen werden können.


Quelle:
Wirtschaftswoche

Der russische Überfall auf die Ukraine hat die Energiepreise weltweit sprunghaft erhöht. Besonders kritisch ist die Lage der Gasversorgung in Europa. Dort könnte es sogar zu Versorgungsunterbrechungen kommen. Die deutsche Öffentlichkeit richtet in dieser Krise weitreichende Forderungen an die Politik: Haushalte und Unternehmen müssen entlastet und vor den Folgen der Krise abgeschirmt werden, heißt es. Man diskutiert, dass private Haushalte für die steigenden Energiepreise einen Ausgleich erhalten sollen, etwa über niedrigere Steuern auf Benzin und Heizöl sowie über staatliche Zuschüsse zu den Gasrechnungen. Für Unternehmen sind Schutzschirme und Rettungsfonds im Gespräch – quasi eine Weiterführung der Coronarettungsmaßnahmen: neue Krise, neuer Schutz.

Zugleich liegt die Forderung auf dem Tisch, die noch laufenden Öl- und Gasimporte aus Russland einzustellen, um den wirtschaftlichen Druck auf Russland zu erhöhen. Und angesichts der absehbaren Krisenkosten für die öffentlichen Haushalte kommen einmal mehr Forderungen auf, die Schuldenbremse über Bord zu werfen.

Was also sollte die Politik tun – und was besser nicht?

Erstens: Sie muss klar kommunizieren, dass der Staat den Anstieg der Energiepreise nicht aus der Welt schaffen kann. Es gilt, überzogenen Erwartungen an einen öffentlichen Schutzschirm entschieden entgegenzutreten. Zweitens sind genau deshalb breit wirkende Maßnahmen wie eine Senkung der Mineralölsteuer abzulehnen. Drittens sollte Deutschland jetzt erst recht an der gesetzlichen Schuldenbremse festhalten. Sie abzuschaffen würde das Vertrauen in unsere Staatsfinanzen nachhaltig schwächen.

Klar ist: Der Staat vermag nicht alle Bürger vor steigenden Energiepreisen zu schützen. Er kann die Lasten lediglich umverteilen und sollte nur dort eingreifen, wo diese extrem hoch ausfallen oder nur schlecht getragen werden können. Das heißt: Die Politik sollte finanzielle Hilfen auf Haushalte mit niedrigen Einkommen begrenzen, eventuell ergänzt um stark von den Preissprüngen betroffene Gruppen wie etwa Fernpendler.

Breite Steuersenkungen, um die inflationsbedingt sinkende Kaufkraft der Bürger zu stärken, sind hingegen aktuell nicht geboten. Ein großer Teil der Bevölkerung hat während der Coronakrise zusätzliche Ersparnisse gebildet, das stützt die Konsumnachfrage genügend. Die hohe Inflation, die sich ja nicht auf den Energiesektor beschränkt, zeigt, dass kein Mangel an Nachfrage besteht, sondern ein Mangel an Angebot.

Wenig überzeugend ist auch die immer häufiger zu hörende Forderung, der Staat solle deshalb Steuern senken, weil er über die Mehrwertsteuer von den steigenden Ölpreisen profitiert. Da der Energiepreisschock die Wirtschaftsentwicklung hemmt, sinken auch die Steuereinnahmen, selbst wenn einzelne Steuern mehr Aufkommen erwirtschaften.

Bei Unternehmen sind flächendeckende Entlastungen derzeit ebenfalls nicht geboten. Für energieintensive Unternehmen wie etwa Speditionen steigen die Kosten zwar massiv. Aber da alle Wettbewerber davon betroffen sind, sollte es möglich sein, sie zumindest anteilig auf die Kunden zu überwälzen.

Anders sieht es aus, wenn gravierende Probleme bei der deutschen Energieversorgung auftreten, weil zum Beispiel die Gasimporte aus Russland ausfallen. Dann kann es in der Tat erforderlich werden, den betroffenen Betrieben staatliche Überbrückungshilfen zu gewähren. Wenn es zu energiebedingten Störungen in den Wertschöpfungsketten kommt, könnten weitere Unternehmen eine solche Unterstützung benötigen. Aber auch hier geht es letztlich um gezielte Hilfen, nicht um eine flächendeckende Entlastung mit der Gießkanne.

LAUFZEITEN SOFORT VERLÄNGERN

Zugleich muss die Politik das Energieangebot stärken – und zwar so schnell wie möglich. Die Ampelkoalition sollte die Laufzeit der drei noch aktiven Kernkraftwerke sofort verlängern und dafür sorgen, dass übergangsweise auch Kohlekraftwerke stärker genutzt werden können. Den Einsatz von Gas in der Stromerzeugung gilt es so weit wie möglich zu reduzieren, weil es zum Heizen und für die Industrieproduktion dringender gebraucht wird. Es ist auch völlig richtig, die erneuerbaren Energien schneller auszubauen. Dies wirkt aber erst mittel- bis langfristig.

Doch selbst wenn sich die Politik auf zielgenaue und damit fiskalisch weniger aufwendige Hilfen beschränkt, wird die Staatsverschuldung in diesem Jahr stark steigen. Das heißt aber nicht, dass man nun alle Gebote der Solidität über Bord werfen sollte. Die Schuldenbremse lässt dem Staat für Notsituationen finanzielle Spielräume; sie zwingt die Politik aber nach der Krise, Staatsausgaben zu priorisieren (und eventuell auch Steuern zu erhöhen).

Schutzschirme in Pandemien und Energiekrisen sowie höhere Rüstungsausgaben dauerhaft allein mit Schulden zu finanzieren – das würde die Stabilität der Staatsfinanzen nachhaltig gefährden.

Clemens Fuest, 53, ist seit April 2016 Präsident des ifo Instituts und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Kontakt
Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest

Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest

Präsident
Tel
+49(0)89/9224-1430
Mail