Gastbeitrag

Eine Vermögenssteuer könnte toxisch wirken; Deutschland ist für Familienunternehmer ein Hochsteuerland. Die Einführung einer Vermögenssteuer birgt erhebliche Risiken

Clemens Fuest und Rainer Kirchdörfer erläutern die erheblichen Risiken einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer für die deutsche Wirtschaft.


Quelle:
NZZ International

Der geschätzte Personalbedarf kursierte schon 2013 in Kreisen der Wissenschaft: 12 000 zusätzliche Stellen für Finanzbeamte muss die nächste Bundesregierung schaffen, wenn sie eine Vermögenssteuer einführt. Ist das die richtige Antwort auf die Belastungen der deutschen Wirtschaft und der Staatskasse durch die Corona-Pandemie?

Die Kosten für die Erhebung bei dieser Steuerart könnten nach vorliegenden Studien bei bis zu 20 Prozent des Aufkommens liegen. Für einen eher noch höheren Aufwand sprechen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, wonach für alle Vermögensgegenstände aktuelle, an der zukünftigen Ertragsfähigkeit ausgerichtete Werte ermittelt werden sollen. Die Steuerzahler haben keine Wahl, als daran mitzuwirken, und ihre «Befolgungskosten» entsprechen schätzungsweise noch einmal 10 Prozent des Aufkommens. Natürlich kann man sich trotz diesen astronomischen Erhebungskosten für die Einführung einer Vermögenssteuer entscheiden: um die Corona-Lasten im Staatshaushalt zu decken oder ein Gefühl der wachsenden Ungleichheit in der Bevölkerung zu mildern, wie es in mehreren Wahlprogrammen deutscher Parteien heisst. Doch diese Gründe sind durch Zahlen nicht zu belegen.

Die Vermögensungleichheit ist in Deutschland laut vorliegenden Daten seit 2007 konstant, gemessen am Gini-Koeffizienten sinkt sie sogar leicht. Internationale Vergleiche dazu zeigen zwar überdurchschnittliche Ungleichheit in Deutschland, sie blenden aber in der Regel aus, dass in Deutschland Renten- und Pensionsansprüche eine grössere Bedeutung haben als in anderen Ländern. Es wird auch auf den geringen Anteil vermögensbezogener Steuern am gesamten Aufkommen verwiesen. Aber auch das lässt sich gut erklären: Grundsteuern spielen in Deutschland eine viel geringere Rolle als im Ausland. Nettovermögenssteuern sind international die Ausnahme.

Wer nach der Corona-Krise eine Art ausgleichende Gerechtigkeit herstellen will, muss bedenken: Zwischen Gewinnern und Verlierern der Krise gleicht das bestehende Steuer- und Transfersystem in Deutschland die Lasten bereits sehr wirksam aus. Es orientiert sich an Gewinn und Einkommen, und das ist auch richtig so. Das Nettovermögen ist als Indikator für krisenbedingt erwirtschaftete Gewinne oder erlittene Verluste ungeeignet.

Auch das Argument der öffentlichen Verschuldung bleibt angreifbar in der Debatte um eine Vermögenssteuer. Der Staatshaushalt ist durch die Krise nicht in die Knie gegangen. Die Schuldenquote ist deutlich niedriger als nach der globalen Finanzkrise, die Zinsen auf Staatsanleihen sind negativ. Die Schuldenquote wird bei weiterhin stabilitätsorientierter Finanzpolitik in den kommenden Jahren wieder sinken.

Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten: Die Erhebung der Nettovermögenssteuer wäre aufwendig, die Begründung für ihre Einführung nicht überzeugend. Dafür birgt das Projekt erhebliche Risiken für die deutsche Wirtschaft und damit auch für das gesamte Steueraufkommen des Staates. Das zeigt die neue Studie der Stiftung Familienunternehmen. Denn die Steuer auf das Vermögen würde zusätzlich zu den Steuern auf das Einkommen erhoben. Gerade bei Unternehmen, die mit geringen Renditen wirtschaften müssen, kann diese Kombination toxisch wirken.

Die Modellrechnung für ein Unternehmen mit 3 Prozent Rendite zeigt schon bei einem Vermögenssteuersatz von 1 Prozent verheerende Wirkung: Der effektive Steuersatz verdoppelt sich auf zusammen 65 Prozent. Selbst bei 4 Prozent Rendite wirkt eine Vermögenssteuer von 1 Prozent wie eine zusätzliche Ertragssteuer von 25 Prozentpunkten.

Am deutlichsten wird die Auswirkung einer Vermögenssteuer bei der Betrachtung von Investitionen. In der gegenwärtigen Niedrigzinsphase dürfte ein sicherer Ertrag von 3 Prozent kaum zu erzielen sein. Bei geringeren Erträgen, so zeigen die Berechnungen der Studie, wirkt die Kombination von Einkommenssteuer und Vermögenssteuer in einem angenommenen Zeitraum von 10 Jahren wie eine Steuer von 100 Prozent. Der Staat würde den Investor komplett enteignen.

Das sind verstörende Zahlen. Sogar wenn Freibeträge gewährt werden und die Durchschnittsbelastung dadurch sinkt: Der Investitionsumfang an einem gegebenen Standort orientiert sich nun einmal am Grenzsteuersatz, also der Steuer auf den letzten verdienten Euro. Bei grösseren Investoren senken die vorgesehenen Freibeträge auch die Durchschnittsbelastung kaum. Ausländer werden Investitionen verlagern, Inländer womöglich ihren Wohnsitz. Komplexe internationale Steuerplanung wäre für die Familienunternehmer ein Muss. Dabei haben sie gerade wahrlich andere Sorgen – und andere Chancen. Doch die dafür notwendigen Investitionen werden dann wahrscheinlich eher nicht in Deutschland getätigt. Auch deshalb nicht, weil in den meisten Ländern keine Nettovermögenssteuer erhoben wird – auch in Deutschland seit zwei Jahrzehnten nicht, seit das Bundesverfassungsgericht sie gekippt hat.

Schon ohne die Vermögenssteuer ist Deutschland für Familienunternehmer ein Hochsteuerland. Im Standortwettbewerb ist das Land in den vergangenen 15 Jahren im Ranking abgerutscht, und zwar mit der bestehenden Steuerlast. Der aktuelle Länderindex der Stiftung Familienunternehmen zeigt: Deutschland liegt im Vergleich von 21 Industrieländern auf dem vorletzten Platz. Die Schweiz steht mit Rang 6 deutlich besser da. Länder wie Grossbritannien und die Niederlande befinden sich im Mittelfeld. In der laufenden Debatte vor der anstehenden Bundestagswahl werden die Ergebnisse solcher Standortrankings leider häufig ausgeblendet.

Dabei hängt viel davon ab. Denn politisch sind sie erwünscht: möglichst viele Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung, aber auch Massnahmen zu Erhaltung oder Aufbau einer soliden Eigenkapitalbasis in nach wie vor unsicheren Zeiten. Also das, was gerade Familienunternehmer auszeichnet: die Gewinne im Unternehmen lassen und reinvestieren, die Liquidität schonen, die Erfolge künftiger Generationen vorbereiten, die Mitarbeiter absichern. Stattdessen wären sie künftig sogar gezwungen, mehr an ihre Gesellschafter auszuschütten, damit diese ihre Vermögenssteuern bezahlen können. Nicht nur die Gewinne werden stärker aufgezehrt, die eigentliche Substanz des Unternehmens nimmt Schaden. Gerade die Familienunternehmen mit ihrem oft hohen Eigenkapitalanteil würden in ihrer Solidität angegriffen. Denn eine Vermögenssteuer nimmt keine Rücksicht auf ihre Liquiditätslage und wirkt in angespannten Zeiten krisenverstärkend.

Weniger Auslandsinvestitionen in Deutschland, weniger Anreize zur Kapitalbildung in Deutschland, womöglich massive Kapitalflucht – das ginge auf Kosten der Konjunktur. Der Aufbau von Wachstum und Beschäftigung, der ja nach der Corona-Krise eigentlich das Ziel sein müsste, fände nicht statt. Eine Simulationsrechnung des Ifo-Instituts über acht Jahre zeigt, dass bei einer Vermögenssteuer von 1 Prozent die Investitionen der inländischen Unternehmen um 11 Prozent zurückgingen, die der ausländischen um 20 Prozent. Nach den acht Jahren wäre das Bruttoinlandprodukt um bis zu 6,2 Prozent niedriger als ohne Vermögenssteuer. In der Zeit hätte sie dem Staat zwar jährliche Einnahmen von 17 Milliarden Euro eingebracht. Doch das jährliche Aufkommen aus anderen Steuern hätte sich gleichzeitig um 38 Milliarden Euro verringert.

Und dafür will man die Privatsphäre der Menschen durchforsten und mit Preisschildern versehen? Dafür will man so kurz nach dem Schrecken der Pandemie die deutschen Unternehmer zutiefst verunsichern, gerade die Familienunternehmer, die im ländlichen Raum Stabilität und Zuversicht spenden und die Krise dank ihren Rücklagen tapfer bewältigt haben? Der Unmut wäre übergross gegenüber dem Staat. Dieser holt nach zwei Jahrzehnten eine Steuer aus der Versenkung, deren schädliche Wirkungen eigentlich ausdiskutiert schienen.

Clemens Fuest ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Präsident des Ifo-Instituts und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen. Rainer Kirchdörfer, Rechtsanwalt, ist im Vorstand der Stiftung Familienunternehmen Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats.

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Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest

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