Gastbeitrag

Mehr Ladesäulen müssen her!

Clemens Fuest und Henrik Thiele

Wie lässt sich eine leistungsfähige, attraktive Infrastruktur für Elektroautos aufbauen? Clemens Fuest und Henrik Thiele liefern eine Antwort.


Quelle:
Handelsblatt

Die Entwicklung der Elektromobilität gehört zu den zentralen verkehrs- und industriepolitischen Veränderungen unserer Zeit. Allein im vergangenen Jahr wurden in Deutschland fast 395.000 Pkws mit Elektroantrieb zugelassen, darunter etwa zur Hälfte rein batteriebetriebene Elektrofahrzeuge und sogenannte Plug-in-Hybride. Dadurch hat sich der Bestand mehr als verdoppelt. 2021 könnten die Neuzulassungen von Elektroautos die Millionengrenze überschreiten. Das Wachstum der Elektromobilität ist zu begrüßen, dürfte aber nur anhalten, wenn eine leistungsfähige und für die Nutzer attraktive Ladeinfrastruktur aufgebaut wird. Wie müsste eine solche Infrastruktur aussehen?

Derzeit gibt es in Deutschland gut 33.000 öffentliche und halböffentliche Ladestationen für Elektroautos - im öffentlichen Raum, in Parkhäusern, Supermärkten und Hotels. Allerdings hinkt das Wachstum der öffentlichen Ladeinfrastruktur dem Wachstum von E-Autos massiv hinterher. Setzt sich der Trend fort, ist zu befürchten, dass in den nächsten Jahren die fehlende Ladeinfrastruktur das weitere Wachstum der Elektromobilität immer stärker behindern wird.

Um das zu verhindern, müssen die Rahmenbedingungen für die Errichtung und den Betrieb von Ladesäulen dringend verändert werden. Dabei geht es um die Art der Ladestationen, die Bepreisung des Ladestroms und der Ladeplätze für die Nutzer sowie die Organisation der Nutzung und die Zahlungsabwicklung. Nicht zuletzt geht es aber auch um die Dauer der Genehmigungsverfahren.

Es ist wichtig, zwischen verschiedenen Arten von Ladestationen zu unterscheiden. Beispielsweise hat der Ausbau von Schnellladestationen, von Normalladestationen im öffentlichen Bereich und von Ladeplätzen im privaten Bereich sehr unterschiedliche Wirkungen. Mit dem Entwurf für ein Schnellladegesetz hat die Bundesregierung inzwischen eine Initiative für den flächendeckenden Ausbau von Schnellladestationen ergriffen, vor allem in abgelegenen Gebieten, in denen der privatwirtschaftliche Ausbau derzeit nicht rentabel ist.

Schnellladestationen sind allerdings eher für Autobahnen und außerhalb von Städten geeignet, wenn größere Entfernungen zu überwinden sind.

Es sollte jedoch nicht übersehen werden, dass die Elektromobilität ihre Stärken in erster Linie in Städten und Ballungsräumen entfalten kann. Hier werden vor allem öffentlich zugängliche Normalladestationen gebraucht.

Schnellladestationen, insbesondere das sogenannte High Power Charging mit bis zu 350 Kilowatt, sind für den typischen städtischen Verkehr ineffizient, weil sie die Lebensdauer der Batterie verkürzen, sehr teuer sind und überdies die bestehenden Netzkapazitäten schnell überfordern könnten. Normalladestationen sind für den städtischen Bereich viel besser geeignet. Dort sollten sie aber vor allem im öffentlichen Raum verfügbar sein und nicht nur auf privaten Stellplätzen.

In Großstädten haben viele Autobesitzer keinen eigenen Parkplatz. Das gilt insbesondere für "Laternenparker", also Mieter mit vergleichsweise geringem Einkommen, die sich einen eigenen Parkplatz nicht leisten können. Öffentliche Ladestationen können von vielen verschiedenen Menschen gut genutzt werden, auch beim Einkaufen oder bei einem Geschäftstermin, und entsprechen darüber hinaus dem Gedanken der "Sharing Economy".

Dieses "Destination Charging" wird in der öffentlichen Diskussion oft unterschätzt. Ein Blick in die benachbarten Niederlande, die in Sachen Elektromobilität deutlich weiter sind als Deutschland, zeigt, in welche Richtung es gehen muss: Amsterdam hat heute bei knapp 900.000 Einwohnern 4500 öffentliche Ladepunkte. Am Ende des Jahrzehnts soll es dort 18.000 Ladepunkte geben. München hingegen kann bei 1,4 Millionen Einwohnern nur rund 1200 Ladestationen vorweisen - und zählt damit unter deutschen Großstädten sogar noch zu den Spitzenreitern. Das verdeutlicht die Dimension des Problems.

Wichtig ist darüber hinaus die Bepreisung. Derzeitig wird häufig nur der geladene Strom berechnet, wie das Benzin an der Tankstelle. Dies wird von vielen auch als "gerecht" empfunden. Allerdings führt es dazu, dass Ladestationen oft als Dauerparkplätze genutzt werden. Den Daten eines Münchener Ladesäulenbetreibers zufolge besetzen E-Auto-Nutzer, die nur für den geladenen Strom bezahlen, eine Ladestation bei gleicher Stromabnahme rund drei Stunden länger als Nutzer, die eine Gebühr für die Dauer der Besetzung des Ladeplatzes bezahlen.

Wir brauchen also Tarife mit einer "Infrastrukturnutzungsgebühr", die einen Anreiz schaffen, die Ladesäule nach Beendigung des Ladevorgangs wieder freizugeben. Nur so kann öffentliche Ladeinfrastruktur effizient genutzt werden. Erforderlich ist außerdem eine dynamische Bepreisung - es muss Anreize geben, dann zu laden, wenn die Stromnachfrage aus anderen Quellen geringer ist. Gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Anteils erneuerbarer Energien und der damit verbundenen Volatilität der Stromerzeugung kann dynamische Bepreisung einen wichtigen Beitrag zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage leisten.

Für den Wettbewerb unter den Ladestromanbietern ist es wichtig, dass Kunden auf Preisunterschiede spontan reagieren können. Heute muss man für die Nutzung der meisten Ladesäulen einen Vertrag mit dem Betreiber schließen. Das beschränkt den Wettbewerb, weil man nicht ohne Weiteres zu einer anderen Ladesäule wechseln kann, wenn die Preise dort attraktiver sind. Die Bezahlung sollte durch kontaktloses Zahlen mit Giro- beziehungsweise Kreditkarte oder anderen Standard-Zahlungsmitteln möglich sein, damit der Wettbewerb ähnlich wie an herkömmlichen Tankstellen funktioniert.

Die Preise sollten transparent sein und stets auf der Ladesäule angezeigt werden. Auch eine Ankündigung, wie sich die Preise in den nächsten Stunden entwickeln werden, wäre hilfreich. Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Nutzer sollten öffentliche Ladesäulen kurzfristig reservieren können. Das bringt den Fahrern von E-Autos Sicherheit und verringert gleichzeitig den klimaschädlichen Parksuchverkehr. Ausfallprämien könnten verhindern, dass Ladestationen reserviert, dann aber nicht genutzt werden.

Ein wesentliches Hindernis für den beschleunigten Ausbau der Ladeinfrastruktur sind nach wie vor die viel zu langwierigen Genehmigungsprozesse in vielen Städten. In der Regel dauert es mehrere Monate, bis eine solche Genehmigung erteilt wird. Auch hier lohnt der Blick nach Amsterdam. Dort wird üblicherweise innerhalb von vier Wochen die Ladestation nicht nur genehmigt, sondern auch aufgebaut.

Die vorgeschlagenen Änderungen der Rahmenbedingungen würden den Ausbau der Elektromobilität in den Städten voranbringen, für die Bürger von Nutzen sein und vergleichsweise geringen Aufwand verursachen. Es ist höchste Zeit, dass vor allem die Kommunen den Ausbau von nutzerfreundlicher Ladeinfrastruktur ebenso energisch wie effizient vorantreiben.

Die Autoren Clemens Fuest ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig Maximilians-Universität München und Präsident des Ifo-Instituts - Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung. Henrik Thiele ist promovierter Volkswirt sowie Mitgründer und Geschäftsführer von Qwello, einem jungen Ladesäulenbetreiber aus München.