Gastbeitrag

Wie wir Öffnungen ermöglichen, ohne eine dritte Coronawelle auszulösen

Clemens Fuest

Gastbeitrag über das Corona-Krisenmanagement und mögliche Öffnungsstrategien

 


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Das Corona-Krisenmanagement in Deutschland hat sich in eine Sackgasse manövriert. Hotels, Restaurants, Einzelhandelsgeschäfte und Kulturschaffende können trotz Hilfen kaum länger durchhalten. Die Schließungen der Schulen belasten Familien und schädigen eine Generation junger Menschen, deren Zukunftsaussichten sich verdüstern. Gleichzeitig sinkt die Zahl der erfassten Infektionszahlen nicht mehr, weil die ansteckenderen Virusmutanten sich immer mehr verbreiten. Die Impfungen kommen nur langsam voran. In dieser Lage werden Lockerungen ohne weitere Vorkehrungen eine dritte Infektionswelle auslösen. Der Wirtschaft wäre damit nicht geholfen. Manches Geschäft würde erst gar nicht öffnen, viele Kunden würden aus Sorge vor Ansteckung zu Hause bleiben, der nächste Lockdown käme schnell. Auch die Schulen müssten wieder schließen.

Der Ausweg aus dieser Sackgasse liegt in einer Strategie mit zwei Säulen: erstens einer fundamentalen Veränderung der Strategie des Testens sowie des Nachverfolgens und Isolierens von Infektionsfällen und zweitens einer Bindung von zunächst lokal begrenzten Öffnungen an diese Teststrategie. Es muss deutlich mehr getestet werden, wir müssen mehr Daten über Tests und Infektionsfälle nutzen und dafür sorgen, dass Infizierte sich schneller in Quarantäne begeben.

Das hat zwei entscheidende Vorteile. Zum einen ermöglicht vermehrtes Testen lokal abgegrenzte Öffnungen, und zwar sofort. Viele Unternehmen testen schon regelmäßig ihre Belegschaft und ermöglichen so sicheres Arbeiten, quasi eine Lockerung der Corona-Restriktionen innerhalb ihrer Werkstore. Wenn Schülern und Lehrern ermöglicht wird, einen Schnelltest durchzuführen, bevor sie die Schule betreten, kann Präsenzunterricht stattfinden. Das Gleiche gilt für Einkaufszentren oder ganze Fußgängerzonen und die dortigen Geschäfte.

Der zweite Vorteil einer massiven Ausweitung der Tests und der Nutzung der dabei erhobenen Daten besteht darin, dass Infektionen früher erkannt und ihr lokaler Ursprung identifiziert wird. Aktuelle epidemiologische Studien zeigen, dass durch schnelleres Erkennen und Isolieren von Infizierten die Verbreitung des Virus dramatisch reduziert werden kann. Wer mehr testet und schneller nachverfolgt, braucht weniger Lockdown-Maßnahmen.

Wenn lokal begrenzte Öffnungen durch Tests abgesichert und ermöglicht werden, können sie - anders als flächendeckende Öffnungen ohne Vorkehrungen - der Wirtschaft tatsächlich helfen. Wer darauf vertrauen kann, dass ein Einkaufszentrum sicher ist, weil man es nicht ohne aktuellen Corona-Testnachweis betreten kann, fühlt sich sicher und wird dort gerne einkaufen oder ins Restaurant gehen. Die Ansteckungsgefahr ist dort nicht gleich null, weil kein Test perfekt ist, aber sie ist hinreichend niedrig.

Gegen vermehrtes Testen wird angeführt, dass es dabei auch zu falschen Positivergebnissen kommen kann: Der Test zeigt eine Infektion an, obwohl keine existiert. Deshalb werden einige Menschen sich in Quarantäne begeben, obwohl sie nicht erkrankt sind. Das ist ein Nachteil, aber ein akzeptabler Preis für die Chance auf baldige Öffnungen.

Gegen intensiviertes Testen und schnelleres Nachverfolgen wird auch eingewendet, es sei nicht möglich, genug Testkapazitäten zu schaffen und den Zugang zu geöffneten Bereichen zu kontrollieren. In der Tat wäre hier eine erhebliche Anstrengung erforderlich. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass deutlich mehr möglich wäre, als derzeit realisiert wird. Die Produktionskapazitäten für Schnelltests sind heute beispielsweise keine ernsthafte Restriktion mehr - die Unternehmen brauchen nur die Zusage der Politik, diese Tests auch nachzufragen.

Wenn mehr getestet wird, werden mehr Infektionsfälle gefunden. Man könnte einwenden, dass Regionen, die ihre Tests intensivieren, während andere nichts tun, plötzlich als Corona-Hotspots erscheinen, obwohl sie sich zum Gegenteil hin entwickeln. Das zeigt letztlich nur, dass es nicht sinnvoll ist, die Infektionslage anhand der gefundenen Infektionen, aber ohne Rücksicht auf die Teststrategie zu beurteilen.

Durch intensivierte Tests und Zugangskontrollen lokal abgegrenzte Bereiche zu schaffen, in denen das Ansteckungsrisiko nahe bei null ist und normales Leben wieder möglich wird, ist der Kern der No-Covid-Strategie - dort wird von Grünen Zonen gesprochen. Wenn in einer Region hinreichend viele Schulen, Fabriken, Einkaufszentren durch vermehrtes Testen und Nachverfolgen geschützt werden, werden Infektionen schnell sinken, und bald werden in der gesamten Region Lockerungen möglich. Falls benachbarte Regionen anders vorgehen und hohe Infektionszahlen aufweisen, wird man verhindern müssen, dass die Infektionen wieder eingeschleppt werden. Das bedeutet aber keine Abschottung. Wer einen Test nachweisen kann, darf einreisen. Für Berufspendler, Warenlieferungen und Härtefälle sind Sonderregeln möglich.

Die Einhaltung der Regeln kann man durch Stichproben kontrollieren. So wird auch heute mehr oder weniger streng überwacht, ob Menschen sich an die Corona-Beschränkungen halten. Anders als gelegentlich behauptet wird, bedeutet No-Covid nicht, dass Lockdown-Maßnahmen endlos verlängert oder gar verschärft werden, bis das Virus verschwindet. Eine Strategie, die sich allein oder primär auf Lockdown-Maßnahmen beschränkt, ist abzulehnen. No-Covid ist eine Öffnungsstrategie, aber eine, die für nachhaltige Öffnungen sorgt und Leben und Gesundheit schützt. Sie umzusetzen erfordert großes Engagement der Entscheidungsträger auf kommunaler Ebene und Kooperation zwischen Wirtschaft, Schulen und Politik. Die aktuelle Strategie der ewigen Lockdown-Verlängerung oder Öffnungen ohne Rücksicht auf Infektionen bieten keine akzeptablen Alternativen.

Clemens Fuest ist Präsident des ifo-Instituts in München.