Gastbeitrag

Hoher Aufwand, überschaubare Effekte

Clemens Fuest

Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen: Die konjunkturellen Effekte einer temporär sinkenden Mehrwertsteuer halten sich in Grenzen.


Quelle:
WirtschaftsWoche

 Am Geld fehlt es nicht: Im Kampf gegen die Coronarezession hat die Bundesregierung eine Reihe von Konjunkturprogrammen auf den Weg gebracht, zuletzt vor wenigen Tagen. Im jüngsten Konjunkturpaket sorgt dabei vor allem eine Maßnahme für kontroverse Diskussionen: die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer. Zwischen dem 1. Juli und dem 31.12. 2020 sinkt der Normalsatz von 19 auf 16 Prozent und der ermäßigte Steuersatz von sieben auf fünf Prozent. Das bringt eine steuerliche Entlastung im Volumen von 20 Milliarden Euro. Doch taugt diese Maßnahme tatsächlich als Kraftspritze für die Konjunktur? 

Die Mehrwertsteuersenkung spielt nicht nur wegen des großen Finanzvolumens eine wichtige Rolle, sondern auch wegen ihrer hohen Sichtbarkeit. Alle Bürger sind als Verbraucher mehr oder weniger unmittelbar angesprochen. Viele Menschen machen sich derzeit Sorgen über ihren Arbeitsplatz und ihr künftiges Einkommen. Deshalb schränken sie ihre Ausgaben ein und sparen mehr. Einzelwirtschaftlich ist dieses Vorsichtssparen sinnvoll. Gesamtwirtschaftlich verstärkt es allerdings den wirtschaftlichen Abschwung. Die Steuersenkung soll daher die Kauflaune anregen, trotz aller Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft. 

Ob der Konsum wirklich zunimmt, hängt freilich davon ab, ob die Unternehmen die Steuerentlastung an die Konsumenten weitergeben, indem sie die Preise senken. Studien kommen zu dem Ergebnis, dass dies allenfalls teilweise geschieht. Zwischen 2009 und 2012 senkten Frankreich, Finnland und Schweden die Mehrwertsteuer, allerdings beschränkt auf Restaurants. In allen Fällen wurde deutlich weniger als die Hälfte der Steuersenkung an die Kunden weitergegeben. Wenn die Preise nicht sinken, kommt die Steuersenkung den Unternehmen zugute. In einer Krise, in der viele Firmen hohe Verluste machen, muss das kein Fehler sein. Allerdings erreicht die Umsatzsteuersenkung nur die Firmen, die noch Umsätze machen. Die am stärksten betroffenen Unternehmen, deren Umsätze teilweise auf null sinken, profitieren davon nicht.

Auch die Erfahrungen mit temporären Mehrwertsteuersenkungen auf alle Güter sind gemischt. Das Vereinigte Königreich hat während der Finanzkrise 2008 den Normalsatz der Umsatzsteuer für einen Zeitraum von 13 Monaten von 17,5 auf 15 Prozent gesenkt. Studien zeigen, dass die Konsumausgaben dadurch um knapp 0,4 Prozent stiegen. Dabei gab es allerdings große Unterschiede zwischen verschiedenen Produktgruppen: Während sich die Lebensmitteleinkäufe kaum änderten, legten die Ausgaben für Haushaltsgeräte deutlich zu. Die sinkende Steuer schafft vor allem Anreize, Käufe langlebiger Konsumgüter wie Waschmaschinen und Autos oder auch Reparaturen und Renovierungen vorzuziehen. 

Das bedeutet allerdings auch, dass nach Auslaufen der Steuersenkung die Nachfrage wieder fällt. In Großbritannien etwa sanken die Konsumausgaben anschließend spürbar.

In Deutschland soll die Mehrwertsteuer bereits nach sechs Monaten wieder steigen. Es ist absehbar, dass die Wirtschaftskrise bis dahin nicht überwunden sein wird. Schon bald dürften daher Forderungen aufkommen, die Steuersenkung zu verlängern. Das aber wäre aus zwei Gründen schwierig. Erstens ist eine Befristung nötig, damit ein Anreiz entsteht, Käufe vorzuziehen. Bei einer dauerhaften Steuersenkung gäbe es dafür keinen Grund. Zweitens wären die Steuerausfälle deutlich höher. Der Konjunkturschub müsste also groß genug sein, um den hohen finanziellen Aufwand zu rechtfertigen.

Hoher Verwaltungsaufwand 

Daran aber bestehen berechtigte Zweifel. Das ifo Institut hat die Folgen der aktuellen Steuersenkung auf das Wachstum in einem Simulationsmodell untersucht. Das Ergebnis ist ernüchternd. 2020 steigert die Umsatzsteuersenkung das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 6,5 Milliarden Euro, das ist ein Plus von 0,2 Prozent. Die Wirtschaftsleistung steigt also nur um etwa ein Drittel der Steuerausfälle – was auch daran liegt, dass der vermehrte Konsum teilweise auf importierte Güter entfällt.

Derartige Schätzungen der Konjunktureffekte sind zwar mit hoher Unsicherheit behaftet, weil sich diese Krise mit früheren schwer vergleichen lässt. Trotzdem ist offenkundig, dass der Konjunkturimpuls, gemessen am fiskalischen Aufwand, eher bescheiden ausfällt. Hinzu kommt, dass die Mehrwertsteuersenkung einen erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich bringt. Die Unternehmen müssen ihre Zahlungssysteme auf die neuen Steuersätze umstellen; die Buchhaltung muss genau darauf achten, ob Leistungen im Juni oder im Juli erbracht werden, damit sie die richtigen Steuersätze anwenden. Gerade Unternehmen, die viele Produkte anbieten, beispielsweise Baumärkte, müssen einen erheblichen Aufwand betreiben, wenn sie alle Preise ändern und die Steuersenkung an die Kunden weitergeben wollen. 

All dies spricht dafür, dass der Beitrag der Mehrwertsteuersenkung beim Kampf gegen die Krise sehr begrenzt ist.
 

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Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest

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