Gastbeitrag

Woran ein Handelsvertrag mit Großbritannien scheitern könnte

Clemens Fuest


Quelle:
Wirtschaftswoche
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In wenigen Tagen ist Großbritannien kein EU-Mitglied mehr. Nun muss schnell ein Freihandelsabkommen her – doch es gibt eine Reihe von Fallstricken, warnt unser Gastautor, ifo-Präsident Clemens Fuest.

Jetzt ist es amtlich: Ende Januar verlässt Großbritannien die Europäische Union – und es wird nicht der befürchtete harte Brexit, sondern ein geordneter Abschied. Dennoch steht Europa gleich vor der nächsten Herausforderung. Das Austrittsabkommen sieht vor, dass die Briten bis Ende 2020 Mitglied der Zollunion und des gemeinsamen Marktes bleiben. Bis dahin muss ein Freihandelsabkommen vereinbart werden. Andernfalls würden Zölle und andere Handelsbeschränkungen in Kraft treten. Ein solches Abkommen zu vereinbaren, braucht aber Zeit.

Das Vereinigte Königreich bestreitet rund die Hälfte seines Außenhandels mit der EU, umgekehrt sind es nur 9%. Trotzdem schaden Handelshemmnisse beiden Seiten. Nach Schätzungen des ifo Instituts würde ein Freihandelsabkommen das britische Bruttoinlandsprodukt dauerhaft um mehr als 1% erhöhen. Für die EU läge der Gewinn bei rund 0,2%. Bei diesen Berechnungen handelt es sich um konservative Schätzungen, weil Auswirkungen auf Wettbewerbsintensität und Innovationen nicht einberechnet sind. Es steht also einiges auf dem Spiel.

Knackpunkte beim Handel

Die gemeinsame politische Erklärung, die Großbritannien und die EU mit dem Austrittsabkommen unterzeichnet haben, beschreibt bereits Grundzüge der angestrebten künftigen Wirtschaftsbeziehungen. Beide Seiten wollen ein umfassendes Freihandelsabkommen. Im Güterhandel soll es keine Zölle oder Mengenbeschränkungen geben, für wichtige Branchen wie die Finanzindustrie oder die Energieproduktion werden sektorspezifische Vereinbarungen angestrebt. Bei administrativen Prozessen will man eng zusammenarbeiten, etwa beim Mehrwertsteuerausgleich im grenzüberschreitenden Handel. Lasten durch Grenzkontrollen sollen minimiert werden.
Eine Zollunion mit einheitlichen Zöllen zu Drittländern schließt das Vereinigte Königreich allerdings explizit aus, es will eine eigene Handelspolitik verfolgen. Das ist schade, denn eine Zollunion würde den Handel erheblich erleichtern. Vor allem wäre es überflüssig, Ursprungsnachweise zu verlangen, die zeigen, dass Produkte, die etwa aus der EU nach Großbritannien exportiert werden, tatsächlich in der EU hergestellt wurden und nicht über die EU aus Drittländern importiert sind.

Fairer Wettbewerb

Als Stolperstein könnte sich die in der politischen Absichtserklärung enthaltene Forderung nach einem „level playing field“ erweisen. Es geht darum zu verhindern, dass sich eine Seite durch Subventionen, Steuergeschenke oder Regulierungen ungerechtfertigte Vorteile verschafft. EU-Chefunterhändler Michel Barnier spricht offen von der Gefahr eines „Regulierungs-, Steuer- oder Sozialdumping“. Dahinter steht die Angst, Großbritannien könne durch laxe Auflagen oder sehr niedrige Steuern „unfairen“ Wettbewerb betreiben (wobei unklar ist, wann unterschiedliche Steuern und Regeln wettbewerbspolitisch akzeptabel sind und wo unfaires Dumping beginnt). Das Vereinigte Königreich seinerseits befürchtet überbordende Sozialstandards der EU, die auf der Insel die wirtschaftliche Dynamik lähmen können. Aus diesem Grund hatte das Land in früheren Jahren durchgesetzt, von den sozialpolitischen Regelungen des Vertrags von Maastricht ausgenommen zu werden. Nun könnten Befürworter hoher Standards versuchen, sie der britischen Seite im Rahmen der Handelsgespräche aufzuzwingen.

Konfliktbeladene Steuerpolitik

Ähnlich konfliktbeladen ist die Steuerpolitik. Großbritannien will steuerliche Anreize setzen, um multinationale Unternehmen nach dem Brexit dazu zu bringen, sich in Großbritannien anzusiedeln. Die EU-Kommission setzt aber zunehmend das Instrument der Subventionskontrolle ein, um gegen Niedrigsteuerstrategien der Mitgliedstaaten vorzugehen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Beihilfeverfahren gegen Irland im Fall Apple.
In Großbritannien war und ist ein zentrales Motiv für den Brexit, sich in der Steuer- und Regulierungspolitik von den als einengend empfundenen EU-Regeln zu lösen. Für die britische Seite dürfte es daher kaum akzeptabel sein, wenn diese Zwänge durch die Hintertür eines Freihandelsabkommens wiederkehren. Protektionistische Kräfte auf beiden Seiten könnten auf dieser Ebene versuchen, das Freihandelsabkommen zu torpedieren.

Neue Herausforderung: New Green Deal

Eine weitere Herausforderung für das Freihandelsabkommen liegt in der Klimapolitik. Die EU dürfte im Rahmen des „Green New Deal“ vielfältige neue Regulierungen einführen, unter anderem einen CO2-Grenzausgleich. EU-Importe würden einem Zoll unterworfen, der vom CO2-Verbrauch in der Produktion der Güter abhängt. Ein Freihandelsabkommen müsste auch diesen Punkt regeln.
All dies spricht dafür, dass es schwer sein wird, innerhalb von elf Monaten ein Abkommen zu erreichen. Die britische Regierung sollte daher den Plan aufgeben, die Übergangszeit Ende 2020 auch dann zu beenden, wenn für das Erreichen eines Freihandelsvertrags ein oder zwei Jahre mehr erforderlich sind. EU-Chefverhandler Michel Barnier sagt zu Recht immer wieder: Der Brexit ist eine Übung in Geduld.

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