Aufsatz in Zeitschrift

Wohlstand in Gefahr? Ursachen und Folgen von Populismus

Ursula Muench, Armin Nassehi, Joe Kaeser, Knut Bergmann, Matthias Diermeier, Florian Dorn, David Gstrein, Florian Neumeier, Manuel Funke, Moritz Schularick, Christoph Trebesch, Kerim Peren Arin, Efstathios Polyzos, Marcel Thum, Luisa Dörr, Niklas Potrafke, Felix Rösel, Tuuli Tähtinen
ifo Institut, München, 2024

ifo Schnelldienst, 2024, 77, Nr. 03, 03-32

Ursula Münch, Politische Akademie Tutzing, erklärt, dass Populisten und Extremisten für den eigenen Erfolg die Skepsis der Wählerschaft gegenüber dem parlamentarischen System und das Misstrauen gegenüber den seriösen Parteien für ihren eigenen Erfolg benötigen. Um dem Glaubwürdigkeits- und Ansehensverlust der politischen Amts- und Mandatsträger zu begegnen, sei in erster Linie Sacharbeit erforderlich. Nicht auf Nebenschauplätzen, sondern dort, wo ein Großteil der Bevölkerung staatliches Handeln vermisse, allen voran innere und äußere Sicherheit, Erhalt der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, Steuerung von Migration und Bereitstellung zukunftsfähiger Infrastrukturen.

Armin Nassehi, Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht aktuell keine Hinweise auf eine grundlegende Spaltung der Gesellschaft, noch eine grundlegende Gefährdung des politischen Systems. Was sich aber konstatieren lasse, sei eine hohe Sensibilität für bestimmte Themen, die sich in Verteilungs-, Zugehörigkeits- und Anerkennungskonflikten niederschlagen. Die populistische Gefahr in Deutschland sei (noch) nicht, dass Populisten an die Macht kommen, zumindest nicht im Bund. Aber der Zuspruch für die AfD und womöglich entstehende populistische Alternativen zur selbsternannten Alternative hemme die Möglichkeit des zivilisierten Streits um bessere Lösungen.

Aus Sicht von Joe Kaeser, Siemens Energy und Daimler Truck, sei Rechtspopulismus eine reale Bedrohung für die Demokratie und die Wirtschaft. Es gehe darum, die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft zu sichern und die Grundlagen für nachhaltiges und inklusives Wachstum zu schaffen. Nur in einer offenen, demokratischen und gerechten Gesellschaft könne die Wirtschaft gedeihen und ihr Potenzial entfalten.

Programmatisch sei die AfD weitestgehend die wirtschaftsliberale Partei, als die sie gestartet ist, geblieben. Trotzdem träfe sie auf Ablehnung der deutschen Wirtschaft, wie eine Befragung von Hauptgeschäftsführern großer Verbände ergeben habe, erklären Knut Bergmann und Matthias Diermeier, IW Köln. Vielmehr werde die Partei als politische wie ökonomische Bedrohung gesehen. Die Wählerschaft der AfD stünde sozialpolitischen Maßnahmen sehr kritisch gegenüber. Mit einer Fokussierung auf regionalpolitische Themen, um im industrialisierten ländlichen Raum über Investitionsförderung den Wohlstand zu sichern, könnten die etablierten Parteien Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen.

Wachsende wirtschaftliche Unsicherheiten und zunehmende regionale Disparitäten können eine Gefahr für die Demokratie und den Zusammenhalt in der Gesellschaft sein. Florian Dorn, David Gstrein und Florian Neumeier, ifo Institut, untersuchen die Bedeutung der regionalen Verteilung von Armutsgefährdung auf den Wahlerfolg nationalistischer Parteien. Wenn in Regionen das Ausmaß an Armutsgefährdung und der Anteil an abgehängten Haushalten gegenüber der nationalen Einkommensentwicklung wachse, wählten in den betroffenen Regionen Menschen aller Einkommensgruppen häufiger nationalistische und rechtsextreme Parteien und sie seien weniger mit der Demokratie und den etablierten politischen Institutionen zufrieden.

Manuel Funke, Moritz Schularick und Volker Trebesch, Kiel Institut für Weltwirtschaft, durchleuchten in einer aktuellen Studie die wirtschaftlichen und politischen Folgen von Populismus. Sie stellen fest, dass Populismus zu einem langsameren Wirtschaftswachstum führt, demokratische Institutionen untergräbt und ein Land anfälliger für zukünftige populistische Regierungen machen kann.

Kerim Peren Arin, Efstathios Polyzos, Zayed University, Abu Dhabi, und Marcel Thum, ifo Dresden, beschreiben den populistischen Wähler, indem sie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen links- und rechtspopulistischen Wählern herausstellen. Sie unterschieden sich am stärksten in Fragen der Einwanderung, der Bedeutung von Traditionen, der Religiosität und der Notwendigkeit, den Sozialstaat abzubauen. Populistische Wähler von links und rechts seien gleichermaßen besorgt über wirtschaftliche Unsicherheit, mangelndes Einfühlungsvermögen der Politiker und einen wahrgenommenen Mangel an Möglichkeiten. Beide hätten ein geringes Selbstwertgefühl und unterschieden sich in dieser Dimension von nichtpopulistischen Wählern.

Luisa Dörr, Niklas Potrafke, Tuuli Tähtinen, ifo Institut, und Felix Rösel, TU Braunschweig, werfen einen Blick auf Studien mit Daten auf Gemeindeebene, denen es überzeugend gelänge, die tatsächliche Wirkung von Populisten im Amt zu beschreiben. Diese Studien zeigen, dass populistische Bürgermeister die Zuwanderung von Ausländern in ihre Gemeinden eingeschränkt haben und, dass sich während ihrer Amtszeit die gesellschaftliche Polarisierung erhöht hat. Darüber hinaus hätten sich die politischen Positionen anderer Parteien verschoben, wenn populistische Parteien in den Gemeinderäten stark vertreten waren.

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ifo Institut, München, 2024