Aufsatz in Zeitschrift

Am besten allein? Separatismus in Europa: Welche Kräfte treiben die Unabhängigkeitsbewegungen an?

Kai Gehring, Christian Schweiger, Karsten Lenk, Klaus Schrader, Claus-Friedrich Laaser, Gero Maaß
ifo Institut, München, 2017

ifo Schnelldienst, 2017, 70, Nr. 23, 03-18

 In Schottland, Flandern, Katalonien und Norditalien wird der Ruf nach mehr Autonomie, mehr Selbstbestimmung und sogar nach nationaler Unabhängigkeit laut. Welche Kräfte treiben diese separatistischen Bewegungen an? Ist es der Überdruss am zu großen Zentralismus und am Suprastaat EU? Oder sind eher ökonomische Gründe für den Erfolg separatistischer Parteien verantwortlich? Kai Gehring, Universität Zürich, sieht einen wesentlichen Faktor für die Entstehung von separatistischen Bewegungen in der Ausstattung einer Region mit ökonomisch wertvollen Ressourcen. In den meisten Ländern gebe es Transfermechanismen, die auf diesen Ressourcen basierende Steuereinnahmen von reicheren zu ärmeren Regionen umverteilen. Diese Transfers führten oft zu einer breiten Unterstützung einer separatistischen Bewegung. Christian Schweiger, Technische Universität Chemnitz, unterscheidet bei der Bewertung von Unabhängigkeitsbestrebungen zwischen den Ursachen für die Tendenzen zur Renationalisierung im Kontext wachsender Europaskepsis und regionalen Unabhängigkeitsbestrebungen. Beide Entwicklungen seien verschieden begründet und benötigten deshalb auch separate Strategien. Letztendlich zeigten sie aber, dass eine wachsende Zahl von Menschen in Europa unter den unübersichtlichen Bedingungen der Globalisierung die Subsidiarität politischer Entscheidungen einfordere. Nach Ansicht von Karsten Lenk, Universität Göttingen, sind die Motive, die separatistische Bewegungen antreiben, verschieden: Im Fokus stehe meistens das Ziel, mehr politische Selbstbestimmung und Macht für die eigene Region zu erreichen. Damit einher werde aber vor allem eine stärkere finanzielle Autonomie oder sogar eine finanzielle Unabhängigkeit vom Nationalstaat gefordert. Klaus Schrader und Claus-Friedrich Laaser, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, unterstreichen, dass zwar oftmals Separatismus als Instrument zur Steigerung des Wohlstands einer Region angepriesen werde, diese Wahrnehmung aber ausblende, dass in den letzten Jahrzehnten nicht nur in Spanien, sondern in der EU insgesamt Prinzipien einer föderalen Arbeitsteilung das Modell des Zentralstaats zurückgedrängt habe und Wohlstand nicht mit Abschottung, sondern mit politischer und wirtschaftlicher Integration geschaffen werde. Katalonien würde durch eine einseitige Unabhängigkeit von Spanien erheblichen wirtschaftlichen Schaden nehmen. Gero Maaß, Friedrich-Ebert-Stiftung, Madrid, sieht beide Seiten an der Eskalation beteiligt. Die Antwort auf den sich zuspitzenden Konflikt sollte seiner Meinung nach eine klare föderative Politik sein.

Schlagwörter: Sezession, Autonomie, Souveränität, Europa
JEL Klassifikation: O100, O180, O520

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Zeitschrift (Einzelheft)
ifo Institut, München, 2017