Aufsatz in Zeitschrift

Tarifpluralismus oder Tarifeinheit: Welche Folgen sind für die Tarifpolitik zu erwarten?

Wolfgang Franz, Norbert Berthold
ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München, 2007

ifo Schnelldienst, 2007, 60, Nr. 24, 03-08

Immer mehr Berufsgruppen sehen sich durch die großen Gewerkschaften nicht genügend vertreten und gründen eigenständige Vereinigungen. Ist die Zeit der großen Kollektive und des traditionellen Prinzips der »Tarifeinheit im Betrieb« vorbei? Welche Folgen hat eine solche Fragmentierung für die Wirtschaft? Wolfgang Franz, ZEW, Mannheim, und Sachverständigenrat, sieht die Brisanz des Themas vor allem darin begründet, dass es zwei gegensätzliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen gilt. Zum einen sei nach dem Grundgesetz die Tarifpluralität geschützt. Denn gemäß dem Grundgesetz sei die Koalitionsfreiheit für jedermann und für alle Berufe garantiert. Zum anderen spreche aber aus der ökonomischen Perspektive vieles für das Prinzip der Tarifeinheit. Ansonsten – bei Tarifpluralität – seien höhere Tariflohnabschlüsse und erhebliche Probleme in der betrieblichen Praxis zu befürchten, die große Planungsunsicherheit zur Folge haben. Als Ausweg aus »dieser Dilemmasituation« schlägt Franz vor, die nachteiligen ökonomischen Konsequenzen der Tarifpluralität, insbesondere die Durchsetzung von Partikularinteressen mit Hilfe besonders kostspieliger Streiks, möglichst zu begrenzen. Beispielsweise solle sich der Gesetzgeber des Arbeitskampfrechts annehmen und es so konzipieren, dass es den Belangen nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch wieder der Unternehmen jeweils angemessen Rechnung trägt. So solle der Gesetzgeber tarifvertragsgesetzlich verankern, dass jeder Tarifvertrag Regelungen für ein funktionstüchtiges Schlichtungsverfahren enthalten müsse. Für Norbert Berthold, Universität Würzburg, ist die Entwicklung zum Tarifpluralismus »zwangsläufig und unumkehrbar«. Denn die Zeit der relativ homogenen wirtschaftlichen Entwicklung sei vorbei: Branchen, Unternehmen und Arbeitnehmer würden heterogener, und divergierende Entwicklungen der Unternehmen einer Branche erfordern viel stärker dezentrale betriebliche Lösungen. Diese veränderte ökonomische Realität erzwinge auch ein neues institutionelles Arrangement. Berthold geht davon aus, dass »sich der Kampf um die Anteile am Volkseinkommen« stärker in die Gruppe der Arbeitnehmer verlagert. Qualifizierte Arbeit sei immer weniger bereit, einfache Arbeit zu subventionieren. Das Ergebnis: eine ungleichere Verteilung der Arbeitseinkommen. Qualifiziertere Arbeit gewinnt, einfache Arbeit verliert relativ zur qualifizierten. Diese Entwicklung sei vor allem technologiegetrieben und ließe sich nicht aufhalten. Der institutionelle Wandel der Interessenvertretungen zeige, dass sich die Institutionen der veränderten Realität anpassen – ein gutes Zeichen, auch wenn der Wandel mitunter schmerzhaft sei.

Schlagwörter: Tarifpolitik, Gewerkschaft, Institutioneller Wandel, Interessenvertretung, Wettbewerb, Arbeitskonflikt, Deutschland
JEL Klassifikation: J510

Enthalten in Zeitschrift bzw. Sammelwerk

Zeitschrift (Einzelheft)
ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München, 2007