Gastbeitrag

Die Energie-Armut ist vorbei, doch diese sieben Dinge dürfen wir nicht vergessen

Die Gas- und Stromkrise nach der russischen Invasion der Ukraine scheint überstanden, und es hätte weitaus schlimmer kommen können, schreibt Ökonomin Karen Pittel im Gastbeitrag. Doch die größte Herausforderung steht erst noch bevor - die Transformation zur Klimaneutralität. Was können wir aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen?


Quelle:
Focus

Etwas mehr als zwei Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in der Ukraine erscheint die Energiekrise hinter uns zu liegen. Die Energiepreise sind gesunken – wenn auch nicht auf das Vorkrisen-Niveau – und wir sind ohne alarmierende Nachrichten durch den Winter gekommen. Insofern erscheint es an der Zeit, einen Blick in den Rückspiegel zu werfen: Was ist gut gelaufen und was schlecht? Was sollten wir aus der Krise lernen?

Aus der Selbstgefälligkeit gerüttelt

Ohne zynisch klingen zu wollen, hätten die letzten Jahre weitaus schlimmer verlaufen können. Die Krise traf die EU unvorbereitet. Trotzdem hat sie es schnell – wenn auch unter erheblichen Kosten – geschafft, die Struktur der Gasversorgung umzustellen. Gleichzeitig führten massiv steigende Preise und die Drohung, dass uns das Gas ausgehen könnte, zu erheblichen Rückgängen im Energieverbrauch. Auch das Wetter spielte mit, und winterliche Temperaturen hielten sich in Grenzen. Es kam nicht zu der befürchteten Gasmangellage.

Trotzdem hat es die Energiekrise geschafft, uns zumindest kurzfristig aus unserer Selbstgefälligkeit zu rütteln. Die Frage ist jedoch, wie lange. Wenn man die Covid-19-Pandemie als Vergleich heranzieht, wahrscheinlich nicht lange. Rufe nach mehr Zusammenarbeit in Europa werden leiser und nicht wenige befürchten, dass es nach den kommenden EU-Wahlen Renationalisierungstendenzen geben könnte. Gerade in der Energieversorgung und den massiven Herausforderungen, die deren Transformation mit sich bringt, kann dies unseren Wohlstand und die Erreichung der Klimaziele gefährden.

Der Druck zur Dekarbonisierung der Wirtschaft wächst und die Kosten für die Umstellung auf umweltfreundliche Technologien belasten die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Und Energie ist nicht der einzige Sektor mit besorgniserregenden Abhängigkeiten der EU. Auch bei Metallen, insbesondere bei denjenigen, die für den Ausbau der Stromnetze, die Umstellung der Flotten auf Elektrofahrzeuge und den Bau von Anlagen für erneuerbare Energien benötigt werden, ist eine starke Konzentration auf wenige Lieferländer zu beobachten.

Sieben Lehren für Europa

Hinzu kommt, dass fiskalische Spielräume kleiner geworden sind. Nach Jahren, in denen Staaten scheinbar endlos tiefe Taschen hatten, trifft dies umso härter. Zur Abfederung der Härten aus Pandemie und Energiepreis-Schock waren Mehrausgaben unabdinglich. Die Einsicht, dass solche Summen nicht langfristig nachhaltig zur Verfügung stehen, ist schmerzhaft, aber unvermeidlich. Umso wichtiger ist es, kostspielige Fehler zu vermeiden. Dies führt uns zu den Lehren aus der Krise – nicht notwendigerweise neu, aber heute wichtiger denn je:

Der Umstieg auf nicht-fossile Energiequellen verringert strategische Abhängigkeiten und senkt die Strompreise.
Europäische Strommärkte und Gasnetze müssen weiter integriert werden, um regionale Knappheiten besser auszugleichen.

Die Diversifizierung von Lieferketten sollte vorangetrieben werden, um strategische Abhängigkeiten und Krisenanfälligkeit zu mindern (bei Energie ebenso wie bei anderen Rohstoffen).

Weniger Energieverbrauch senkt die Kosten der Transformation des Energiesystems und sollte entsprechend angereizt werden – in Verkehr und Gebäuden ebenso wie in der Wirtschaft.

  • Wettbewerbsverzerrende Maßnahmen wie die Deckelung der Energiepreise kann zwar kurzfristige Lasten abfedern, aber langfristig die Transformation des Energiesystems verzögern.
  • Kommunikation ist essentiell - die vernünftigste Politik wird scheitern, wenn ihr Sinn und Zweck nicht verstanden wird.
  • Wo möglich, sollten zusätzliche finanzielle Spielräume geschaffen werden, beispielsweise durch angemessene CO2-Preise und den Abbau von Subventionen.
  • Auch wenn viele dieser Punkte im politischen Prozess der letzten Jahre adressiert worden sind, fehlt es in einigen Bereichen noch immer an konkreten Maßnahmen. Stabile Rahmenbedingungen und langfristig ausgerichtete politische Maßnahmen, die glaubwürdig kommuniziert werden, sind aber die Voraussetzung für die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Ohne sie werden die massiven Investitionen, die in den kommenden Jahren benötigt werden, entweder nicht oder nur verzögert getätigt – auf Kosten von Wohlstand und Klima.

Viel wichtiger ist, auf strategischer Ebene potenzielle zukünftige Krisen zu identifizieren. Prävention und Notfallmechanismen können die Konsequenzen von großangelegten Cyberattacken oder Klimakrisen substanziell verringern. Im Falle von geopolitisch motivierten Krisen mag eine geeignete Vorbereitung ihr Eintreffen sogar verhindern. Eine geeignete Institution, die globale Trends beobachtet, Risiken identifiziert und künftige Krisen vorausdenkt, muss allerdings auf EU-Ebene angesiedelt sein. Ohne europäische Kooperation wird auch die beste Krisenprävention nur unbefriedigende Ergebnisse zeigen.

Wir fokussieren uns auf die falschen Krisen

Über den Energiesektor hinaus besteht ein fundamentaler Bedarf, besser auf zukünftige Krisen vorbereitet zu sein. Wir tendieren dazu, auf solche Krisen zu fokussieren, die uns bereits einmal kalt erwischt haben. Dies sind allerdings nicht die Krisen, die uns am meisten Sorgen machen sollten. Auch wenn die Reaktion auf vergangene Krisen nicht perfekt war, so haben wir doch bereits Erfahrung darin, sie zu überwinden.

Über die Expertin

Karen Pittel ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Außerdem leitet sie das Zentrum für Energie, Klima und Ressourcen am Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. In ihrer Arbeit beschäftigt sich Pittel vor allem mit der Transformation des Energiesystems sowie der langfristigen Effektivität der Klimapolitik.