Gastbeitrag

Corona und der Tunnelblick

Kai A. Konrad und Marcel Thum


Quelle:
Franfurter Allgemeine Zeitung

Angesichts der medialen Dominanz der Virusepidemie steigt indes die Gefahr aktionistischer Maßnahmen, die wenig bringen, aber viel kosten. So dürfte die plötzliche Grenzschließung Polens für nichtpolnische Staatsbürger kaum etwas an der Ausbreitung des Virus geändert haben. Die Grenzsperrung hat aber zu langen Staus geführt, so dass die europäischen Lieferketten zusätzlich in Gefahr gerieten. In Italien hat Premierminister Conte einen Produktionsstopp verhängt. Auch wenn die Lebensmittelindustrie weiter produzieren darf, benötigt sie Verpackungsmaterial und Ersatzteile, damit die Lebensmittel am Ende auch an die Bürger ausgeliefert werden können.

Die deutsche Politik war bislang zurückhaltender. Allerdings lassen sich auch hier Anzeichen nicht zielführender Eingriffe erkennen. Sachsens Polizei verkündet, dass das Sitzen auf einer Decke in der Öffentlichkeit untersagt sei und dass sie allein fahrende Radfahrer kontrolliert hat. Hier besteht das größte Ansteckungsrisiko wohl in der Kontrolle selbst. Wenn Politiker heute sagen, die Ausbreitung des Coronavirus müsse „um jeden Preis“ verlangsamt werden, ignorieren sie die Nachteile der geplanten Maßnahmen komplett. Dies ist gefährlich. Möglicherweise sind die gesellschaftlichen Kosten solcher politischen Eingriffe gewaltig.

Schon jetzt deuten erste Untersuchungen für China darauf hin, dass die Einschränkungen des täglichen Lebens, insbesondere in Quarantäne, die Gesundheit der nicht infizierten Bevölkerung nachhaltig beeinträchtigt haben. Angstzustände, Panikattacken, Depressionen und post-traumatische Belastungsstörungen sind nur einige der Symptome bzw. Krankheiten, die in den betroffenen Regionen jetzt häufiger registriert werden. Verstärkte Isolierung der Menschen bringt erhebliche psychosoziale Kosten mit sich. Dies spricht nicht dagegen, dass die Politik größere Menschenansammlungen erst einmal verhindert. Aber rigide Beschränkungen wie das beschlossene Kontaktverbot greifen umfassend in das soziale Miteinander ein und haben Folgen, die kaum abgeschätzt werden können.

Neben den psychosozialen Kosten haben viele der Maßnahmen, die gerade an- gedacht werden, auch erhebliche wirtschaftliche Folgen. „Die Wirtschaft“ müsse jetzt eine Weile hinter der Eindämmung der Corona-Epidemie zurückstehen, so die vorherrschende Meinung. Der Neustart der Wirtschaft nach Monaten des Shutdowns ist indes vergleichbar mit dem Neustart des Wirtschaftslebens nach einem Krieg. Und drastische Einschränkungen des Wirtschaftslebens können ebenfalls Menschenleben kosten.

Schon jetzt gibt es erhebliche Friktionen in den Lieferketten. Jeder weitere, politisch bedingte Eingriff in den Produktionsprozess kann zu plötzlichen Knappheiten in der Versorgung der Bevölkerung führen. Bereits bei guter Versorgungslage kam es zu Hamsterkäufen; die Supermärkte mussten mit Wachpersonal aufrüsten. Bereits der kleinste Verdacht größerer anstehender Versorgungsengpässe könnte zu dramatischen Szenen führen.

Je weiter das Sozialprodukt in der Krise einbricht, desto stärker verringert dies Lebenschancen.

Je weiter das Sozialprodukt in der Krise einbricht, desto stärker verringert dies die Lebenschancen und sogar die fernere Lebenserwartung der jungen Generation. Schon jetzt ist absehbar, dass das Sozialprodukt im Jahr 2020 stärker einbrechen wird als während der Finanzkrise. Aus gesundheitsökonomischen Studien weiß man, dass große Rezessionen die Lebenserwartung absinken lassen. Gerade für junge Menschen sind die Auswirkungen besonders dramatisch. Wer in seiner Jugend eine schwere Wirtschaftskrise erlebt hat, weist langfristig eine geringere Lebenszufriedenheit auf, hat auf Dauer weniger soziale Kontakte und mehr psychische Gesundheitsprobleme.

Mit jeder Covid-19-Erkrankung sind große Ängste, mit jedem Todesfall menschliche Dramen verbunden. Dies darf uns aber nicht dazu veranlassen, die Kosten politischer Maßnahmen völlig zu ignorieren. Die Kosten der politischen Maßnahmen sind verdeckt und erst in der langen Frist ersichtlich; daher geraten sie in der aktuellen politischen Diskussion allzu schnell in den Hintergrund. Wer jetzt einwendet, man dürfe Menschenleben oder das Wohlergehen einzelner Menschen nicht gegeneinander auf- rechnen, hat genau dies gerade getan. Wer heute für immer härtere Restriktionen eintritt, hat eine – ungewisse – Verbesserung im Schutz der Risikogruppen höher gewichtet als die ziemlich sicheren Schäden, auch an Leib und Leben, für die gesamte Gesellschaft. Man kann diese Gewichtung vornehmen, aber man sollte die Kosten ehrlich benennen.

Kai A. Konrad ist Direktor am Max-Planck- Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen in München.

Marcel Thum ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der TU Dresden.

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Prof. Dr. Marcel Thum

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