Gastbeitrag

Rettet die Schuldenbremse!

Niklas Potrafke


Quelle:
Focus

Zu hohe Staatsschulden gefährden Wohlstand und Demokratie. Deshalb sind die jüngsten Forderungen nach lockeren Schuldenregeln völlig falsch

Von Prof. Niklas Potrafke Chef des Ifo-Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie

Während der Finanz- und Schuldenkrise, die vor gut zehn Jahren ausbrach, herrschte Konsens: So kann es mit der massiven Staatsverschuldung nicht weitergehen. Bund und Länder hatten seinerzeit klug reagiert und die sogenannte Schuldenbremse eingeführt. Sie trägt nun seit Jahren dazu bei, dass die Defizite und die Staatsschuldenquote schrittweise sinken und die deutschen Staatsfinanzen allmählich gesunden.

Doch der Erfolg der Schuldenbremse wird in diesen Wochen auch zu ihrem Problem. Sie wird von Politikern, ja sogar von Ökonomen offen infrage gestellt. Ganz so, als hätte es die Staatsschuldenkrise, in deren Folge milliardenschwere Rettungspakete geschnürt und der Leitzins auf null gesenkt wurden, nie gegeben.

Warum ist es notwendig, an der Schuldenbremse festzuhalten? Es geht um die Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben. Was für die meisten Bürger privat ganz selbstverständlich ist - dass sie nicht mehr ausgeben können, als sie einnehmen -, müssen die Industrieländer erst wieder lernen. Auch für Deutschland muss es wieder selbstverständlich sein, die Staatsausgaben mit den Staatseinnahmen, insbesondere aus Steuern und Abgaben, ohne Neuverschuldung zu finanzieren. Wer also beispielsweise Steuerentlastungen will, muss zugleich sagen, wo an anderer Stelle im Staatshaushalt gespart werden kann.

Das ist so wichtig, weil der Anteil konsumtiver Ausgaben am deutschen Staatshaushalt seit einigen Jahren kontinuierlich wächst. Insbesondere in die Sozialsysteme fließt immer mehr Geld. Das hat auch mit dem demografischen Wandel zu tun, also damit, dass die Deutschen im Schnitt immer älter werden.

Diese Entwicklung wird sich noch beschleunigen. Das bedeutet: Der Druck auf die Finanzminister, immer neue Milliarden für die Sozialsysteme locker zu machen, wird weiter steigen. Denn die Schuldenbremse zwingt sie, genau zu überlegen und zu rechnen, welche Ausgaben wirklich nötig sind - und wo (vielleicht an anderer Stelle) gespart werden kann.

Die Schuldenbremse hilft darüber hinaus dabei, dass Staatsausgaben nicht politisch zweckentfremdet werden, sei es aus Wiederwahlmotiven oder zur Befriedigung von Wünschen einzelner Interessengruppen. Regierungschefs oder Finanzminister jeglicher politischer Couleur haben seit jeher den Wunsch, Geschenke zu verteilen, um ihre Wiederwahl zu sichern oder sich für Stimmen bei der letzten Wahl zu bedanken. Annehmlichkeiten wie beispielsweise nicht über Beiträge finanzierte Rentenerhöhungen oder Unternehmenssubventionen werden gern über neue Schulden bezahlt. Eine solche politische Zweckentfremdung wird durch Fiskalregeln wie die Schuldenbremse zumindest eingedämmt.

Ab nächstem Jahr greift die Schuldenbremse auch in den Bundesländern. Die Landesregierungen dürfen dann erstmals eigentlich keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Doch das Neuverschuldungsverbot gemäß Artikel 109 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes könnte unterlaufen werden. Denn acht der 16 Bundesländer haben die Schuldenbremse auch in ihren Landesverfassungen verankert. Das eröffnet ihnen die Möglichkeit, die harten Kriterien etwas aufzuweichen. So reicht in einigen Bundesländern beispielsweise eine einfache Mehrheit im Landtag, um auch künftig in Notsituationen neue Schulden aufnehmen zu können. Diese Schlupflöcher werden hoffentlich nicht genutzt. Denn solide Staatsfinanzen sind die Basis von Wachstum und Wohlstand. Sie bilden somit das Fundament für eine stabile Demokratie. Und das sollte jedem Politiker besonders viel wert sein.