Gastbeitrag

Tragfähige deutsche Staatsfinanzen? Der Schein trügt

Niklas Potrafke


Quelle:
Welt online
Online:

Deutschland leistet sich ein viel zu teures Sozialssystem, warnt unser Autor. Das Geld fehlt dann für Bildung, Verkehr und Verteidigung. Der Bundesfinanzminister muss dringend andere Prioritäten setzen.

Die Entwicklung der deutschen Staatsfinanzen sieht auf den ersten Blick nicht übel aus. Dem galoppierenden Anstieg der Staatsverschuldungsquote zu Beginn der Finanzkrise ist der Gesetzgeber entschieden entgegengetreten. Die Schuldenbremse wurde eingeführt.

Der Bund nimmt seit dem Jahr 2015 in der Tat keine neuen Schulden mehr auf, und die Staatsverschuldungsquote sinkt. Das war zunächst das Verdienst von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der Kurs gehalten und sich nicht von den Rufen nach kräftiger Neuverschuldung in Zeiten niedriger Zinsen hat beirren lassen.

Auch Olaf Scholz ist bemerkenswert standhaft und spricht sich gegen neue Schulden aus. Hinzu kommt, dass die Steuereinnahmen in den vergangenen Jahren von einem Rekordhoch zum nächsten geklettert sind. Auf Basis dieser Datenlage ist man versucht, die deutschen Staatsfinanzen als nachhaltig beziehungsweise tragfähig zu beschreiben. Doch der Schein trügt. Die Weichenstellungen für die Zukunft, die bei den jüngsten Haushaltsberatungen zutage getreten sind, machen Sorgen.

Schon lange ist bekannt, dass der Anteil an konsumtiven Ausgaben am Budget deutlich steigt und den deutschen Staatshaushalt dominiert. Ein großer Teil des Anstiegs der Sozialausgaben ist auf den demografischen Wandel zurückzuführen. Da tragfähige Staatsfinanzen durch diesen zunehmend zur Herausforderung werden, sind zusätzliche Transfers für individuelle Wähler- und Interessengruppen fehl am Platz.

Die Politik hat jedoch nicht eingelenkt und dem massiven Anstieg der konsumtiven Ausgaben insbesondere für soziale Sicherung ein Ende gesetzt. Unsere Nachbarländer dagegen setzen etwas andere Prioritäten. Neue Daten der OECD zu den Staatshaushalten in Industrieländern zeigen, dass Deutschland einen höheren Anteil für soziale Sicherung und Gesundheitswesen aufwendet.

So betrug der Anteil der Ausgaben für soziale Sicherung am Gesamtbudget des Staates im Jahr 2017 in Deutschland 44,1 Prozent, in den skandinavischen Ländern 42,5 Prozent, in den Benelux-Ländern 39,2 Prozent und in Österreich und der Schweiz 40,7 Prozent.

Ein wesentliches Problem der hohen Sozialausgabenquote ist, dass die Sozialausgaben andere Ausgaben verdrängen. Jeder Euro kann eben nur einmal ausgegeben werden. An anderer Ecke des Budgets fehlt das Geld. Der vermeintliche gesellschaftliche Konsens für höhere Bildungsausgaben scheint sich nicht in den Haushaltsberatungen niedergeschlagen zu haben. Auch für andere investive Ausgaben wie für Verkehrsinfrastruktur oder das Justizsystem bleibt naturgemäß weniger, wenn viel für Transfers ausgegeben wird.

Darüber hinaus haben die Nato-Partner recht, dass wir Deutschen uns nicht an die internationale Vereinbarung zum Zwei-Prozent-Ziel bezüglich der Verteidigungsausgaben halten, obwohl wir es zugesagt hatten. Die Bundesregierung spricht von voraussichtlich 1,5 Prozent. Es ist davon auszugehen, dass die relativ hohen konsumtiven und relativ niedrigen investiven Ausgaben in Zukunft das Wirtschaftswachstum drosseln werden.

Um die Tragfähigkeit der deutschen Staatsfinanzen zu erhalten, sollten erstens weiterhin keine neuen Schulden aufgenommen und zweitens eine Prioritätenverschiebung des Budgets hin zu mehr investiven Ausgaben vorgenommen werden.