Aufsatz in Zeitschrift

Stagnierende Wohneigentumsquote, Share Deals: Wie sollte die Grunderwerbsteuer reformiert werden?

Jens Boysen-Hogrefe, Wolfgang Scherf, Carolin Dresselhaus, Thomas Schäfer, Kunka Petkova, Alfons J. Weichenrieder, Reiner Holznagel, Jens Lemmer, Manuela Krause, Niklas Potrafke
ifo Institut, München, 2017

ifo Schnelldienst, 2017, 70, Nr. 21, 03-24

Seit 2006 können die Bundesländer den Steuersatz der Grunderwerbsteuer frei wählen. Dies hat zu einer starken Erhöhung der Steuersätze in den meisten Bundesländern und somit zu einer Verteuerung des Eigentumerwerbs sowie einer Erschwerung der Bildung von Wohneigentum geführt. Zudem werden bei Verkäufen großer Immobilien oft verschiedene Gestaltungsmodelle – sogenannte Share Deals – genutzt, um die Zahlung der Grund­erwerbsteuer zu umgehen. Ist eine Reform überfällig? Jens Boysen-Hogrefe, Institut für Weltwirtschaft, Kiel, schlägt vor, bei der Grunderwerbsteuer die »halbherzige Steuerautonomie der Länder« rückabzuwickeln und einen bundeseinheitlichen Steuersatz, der merklich unter dem aktuellen Länderdurchschnitt liegt und keine Ausnahmen vorsieht, einzuführen. So könnten unter anderem auch den Steuervermeidungsmöglichkeiten durch Share Deals entgegengewirkt werden. Wolfgang Scherf und Carolin Dresselhaus, Universität Gießen, halten fest, dass die Grunderwerbsteuer weder durch fundamentale Besteuerungsprinzipien noch durch günstige Lenkungseffekte gerechtfertigt werden kann. Ihre Substitutionseffekte verzerrten die Entscheidungen im Immobiliensektor und verursachten damit unnötige ökonomische Zusatzlasten über die Steuerzahllasten hinaus. Die allokativen und distributiven Mängel der Grunderwerbsteuer sprächen für eine Reform. Thomas Schäfer, Finanzminister des Landes Hessen, bezweifelt, dass eine niedrige Grunderwerbsteuer mit einer hohen Wohneigentumsquote korreliert ist. Auch die Themen Wohneigentumsförderung und Bekämpfung der Share Deals möchte er nicht in einen unmittelbaren Zusammenhang gestellt sehen. Es könnte zwar verlockend sein, umfassende Maßnahmen anzukündigen, die später aus den zusätzlichen Einnahmen durch die Besteuerung der Share Deals finanziert werden sollten. Doch ließen sich diese nicht valide quantifizieren, da es an entsprechenden Datengrundlagen mangele. Die Besteuerung der Share Deals sei für sich allein genommen ein Gebot der Steuergerechtigkeit. Kunka Petkova, Wirtschaftsuniversität Wien, und Alfons Weichenrieder, Goethe-Universität Frankfurt am Main, diskutieren die Forderung nach einer Familienkomponente der Grunderwerbsteuer und zeigen mögliche Alternativen zur Einschränkung der Steuergestaltungen durch Share Deals auf. Sie raten von einer Familienkomponente ab. Im Hinblick auf Share Deals seien mehrere Gestaltungswege denkbar. Wenn die Politik hauptsächlich die offensichtlichsten Gestaltungen einschränken wolle, könne neben die Beschränkung, welcher Anteil der Anteile für die Steuerfreiheit übertragen werden dürfe, ein zweites Kriterium alternativ dazu treten. Share Deals könnten auch dann freigestellt werden, wenn bei der übertragenen Kapitalgesellschaft das Immobilienvermögen im Bilanzvermögen nur eine untergeordnete Rolle spiele. Nach Ansicht von Reiner Holznagel, Bund der Steuerzahler, und Jens Lemmer, Deutsches Steuerzahlerinstitut, sei kaum eine andere Steuer derart reformbedürftig wie die Grund­erwerbsteuer: Diese hemme zunehmend die Wohneigentumsbildung, erschwere die Altersvorsorge, führe zu preistreibenden Mehrfachbelastungen und sei auch aus verteilungspolitischer Sicht problematisch. Der starke Anstieg der Steuersätze habe diese gravierenden Mängel noch verschärft. Eine Reform der Grunderwerbsteuer, die den Erwerb von Wohneigentum erschwinglicher mache, sei daher überfällig. Die Politik sollte sich bei der Reform dabei darauf konzentrieren, die Bürger bei der Eigentumsbildung zu entlasten. Mittelfristig sollten die Bundesländer jedoch auch die Steuersätze deutlich reduzieren. Manuela Krause, ifo Institut, und Niklas Potrafke, ifo Institut und Ludwig-Maximilians-Universität München, zeigen, dass sich auf Ebene der Bundesländer einige Unterschiede im Hinblick auf die jeweils betriebene Wirtschaftspolitik der etablierten Parteien erkennen lassen: Die Grunderwerbsteuer sei eines der Beispiele dafür, dass rechte und linke Landesregierungen auch gegenwärtig noch eine unterschiedliche Politik machten. Rechte Landesregierungen erhöhten die Grunderwerbsteuersätze weniger oft als Koalitionsregierungen der Mitte und linke Landesregierungen.

JEL Klassifikation: A100, B200

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ifo Institut, München, 2017